
27.03.2014 || SC: Die Zeit beim Musikfernsehen liegt hinter dir. Inzwischen arbeitest du als freiberuflicher Schriftsteller. Welche Vor- und Nachteile hat das freie Künstlerdasein im Vergleich zu deinen vergangenen Jobs?
BM: Es ist himmlisch: Ich kann zuhause arbeiten, bin viel bei meiner Familie und muss nie wieder Powerpoint-Präsentationen halten, sinnlosen Meetings beiwohnen, bei denen man sich eine handliche Gartenaxt herbeiwünscht oder habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich Grippe habe. Und ich habe oft Grippe. Der einzige Nachteil ist das unzuverlässige Gehalt, aber der überwiegt nicht.
SC: Wie kamst du auf die Idee eine Krimi-Reihe ins Leben zu rufen?
BM: Ein opportunes Ansinnen. Anfangs wollte ich nur über eine madige werdende Freundschaft schreiben. Ich wollte meinen Protagonisten etwas skurriles und brutales zumuten. Einen Mord als Paradigmenwechsel. In einem Bildungsroman wirkt so etwas an den Haaren herbeigezogen, aber wenn man ein Noir-Szenario wie aus dem ersten Mandel als Korsett drauf setzt, ist plötzlich alles erlaubt.
SC: Ermitteln deine beiden chaotischen Detektive in den ersten beiden Teilen, Mandels Büro und Black Mandel, in der Musikszene, so begeben sie sich im dritten Teil, Der große Mandel, in die deutsche Wrestling-Szene und sogar selbst in den Ring. Wie kamst du auf das Sujet Wrestling und wie lief die Recherche für das Buch?
BM: Ich bin Wrestlingfan seit ich vierzehn bin, das lag also nahe. Für mich ist das Milieu die beste Gelegenheit, Singer und Mandel endlich in eine physische Auseinandersetzung hineinzuschreiben, sie aufeinander loszulassen, sie in den Ring zu schicken. Das Perfide am Wrestling ist, dass man sich im Prinzip nur einen Showkampf liefert. Es ist immer noch ein Wettbewerb mit harten Bandagen, aber es geht nicht darum, wer den anderen kaputthaut oder gewinnt, sondern wer die bessere Figur abgibt. Und das wissen auch so gut wie alle Wrestlingfans und interessieren sich deshalb akribisch für das Geschehen hinter den Kulissen oder das schauspielerische Handwerk der Wrestler. Für so eine archaische Kirmesklopperei ist Wrestling also ziemlich Meta und anthroposophisch komplex, wenn man sich in der Innenwelt umschauen will. Andererseits kann man auch nur zuschauen, wie sich zwei in Radlerhosen durch einen Ring treten und einem davon die Daumen drücken.
Existenzialistische Metapher oder eine profaner Prügelspaß – beim Wrestling geht beides und besonders aus Amerika kommen Wrestlingblogs, wie sie komödiantischer und humanistischer nicht sein könnten. Die Recherche war nicht sonderlich komplex. Ich habe eine Menge Wrestler-Biografien gelesen, habe den einzig deutschen Wrestler, der es in Amerika zu was gebracht hat – Wunderkind Alex Wright – interviewt und war öfter bei kleineren Wrestlingveranstaltungen in Berlin. Es war eine schöne Zeit.
SC: In deinem Roman wird ein türkisch-deutscher Wrestling-Verbandsweltmeister mit seiner uneingestandenen Homosexualität erpresst. Kürzlich hat das Outing des Fußballers Thomas Hitzelsperger für kurzzeitiges Aufsehen gesorgt. Wie siehst du die Entwicklung der Emanzipation von Homophobie im Leistungssport?
BM: Problematisch sehe ich sie, auch wenn die Causa Hitzlsperger und das Sotschi-Theater das Thema rechtmäßig in die Schlagzeilen gebracht haben. Was für eine Ironie, dass grade der Hasstreiber Putin letztlich der Bewegung einen großen Dienst erwiesen hat mit seinen absurden Schwulengesetzen.
Als ich schon mit dem Roman fertig war, hat sich in den USA übrigens der Wrestler Darren Young geoutet und die eigentlich eher für ihre reaktionäre Einstellung bekannte Großliga WWE ist sehr souverän damit umgegangen, hat das Outing eventuell sogar medial lanciert. Nichtsdestotrotz wird immer noch viel zu viel Theater ums Schwulsein im Leistungssport gemacht, und damit das aufhört, muss wahrscheinlich noch ein bisschen mehr Theater gemacht werden.
Auf den schwulen Wrestler bin ich tatsächlich auch deshalb gekommen, weil mich die Diskussionen im Fußball irritiert bis agitiert haben. Selbst im Freundeskreis hat es immer wieder geheißen: „Was willst du denn mit dem, der ist doch schwul.“
SC: Während deine Wrestlingazubis im Roman durch die süddeutsche und nordrhein-westälische Provinz tingeln steht bei dir im April und Mai eine größere Lesetour durch Deutschland an. Wie gefällt dir das Leben auf Tour?
BM: Ich versuche, immer nur drei Termine am Stück zu absolvieren, weil mir das Tourleben nicht so wahnsinnig liegt. Ich mag nichts mehr, als auf einer Bühne nach besten Kräften den Hanskasper für die Leute zu geben, aber ich mag nichts weniger als im Auto oder Zug zu sitzen und darauf zu warten, irgendwo anzukommen. Außerdem bin ich nicht gerne von meiner Familie, vor allem meinem dreijährigen Sohn weg. Und ich trinke viel zu viel, wenn ich auf Tour bin. Immer schon am ersten Abend, der Rest ist dann eher Tortur als Tour.
SC: Deine Verbindung zur Musik geht über Liebhaberei und journalistisches Interesse hinaus. Du bist Sänger und Gitarrist der Heavy-Metal-Band The Gebruder Grim. Wie bist du zum Metal gekommen und was gibt dir dein Wirken als Musiker im Gegensatz zur Schriftstellerei?
BM: Ich war 36, als ich die Gebruder Grim gegründet habe. Ich dachte mir, ich gehe auf die Vierzig zu und habe noch nie Metal gespielt, das kann nicht sein. Ich habe Riffs und Solos geübt wie ein Verblödeter und jetzt sagen Leute nach dem Konzert zu mir, ich wusste gar nicht, dass du so gut Gitarre spielen kannst. Das hat in meinem Jahren im Indiepop nie jemand zu mir gesagt. Ich spiele also Metal aus Eitelkeit und weil es die Musik meiner Jugend und Mannwerdung ist. Mit der Schriftstellerei hat die Musik nichts zu tun. Weder als Gegensatzpaar noch als Ergänzung.
SC: Die Annäherung von Wort und Musik ist besonders eng im HipHop. Im Netz sieht man dich in einem Video mit dem Entertainer Rüdiger Rudolph auf einer rappenden Parforcetour durch Deutschlands HipHop-History. Wie kam es zu diesem Ausflug in ungewohnte musikalische Sphären und kommt da noch etwas nach?
BM: Ich mache hin und wieder Stand-Up-Comedy auf offenen Bühnen als Selbstfindungsding. Als ich mit meinem Nachbarn Rüdiger Jimmy Fallon und Justin Timberlake in History Of Hip Hop 1-4 gesehen habe, war uns als klar, dass wir das auch machen wollen. Also haben wir unsere Stand Up-Auftritte gegen die Hip-Hop-Hampelei eingetauscht. Und wir finden, dass die Sachen, die wir da im Medley machen wirklich hohes deutsches Kulturgut sind. Vor allem „Fuffies im Club“. Wir arbeiten auch an History Of German Hip Hop Teil zwei und werden auch das wieder regelmäßig auf der Open Stage in der Scheinbar, oder wo man uns sonst auftreten lässt, spielen.
SC: Welche Reaktionen hast du auf Mandels Büro, der erste Band rankt sich um den Tod eines populären Punksängers, und den Black Mandel, der in der Death Metal-Szene spielt, aus der Musikszene bekommen?
BM: Bei Mandels Büro haben viele gesagt: toll, wie der aus dem Nähkästchen plaudert. Vor allem Leute, die selbst im Nähkästchen arbeiten, haben das gesagt. Dabei habe ich nur ein Milieu für meine Figuren benutzt, in denen Leute komisch reden und exaltiert herumexistieren. Ich habe bewusst überspitzt, und es ist bezeichnend, dass dann Leute kommen und sagen: genau so isses. Das spricht ja Bände über die tatsächliche Musikbranche. Bei Black Mandel haben die Kenner der Materie natürlich sofort gemerkt, auf welche Kriminalhistorie ich anspiele, und welche Interviews und Bücher ich gelesen habe. Ich bin noch nicht zum Lieblingsautor der deutschen Metalszene geworden, aber ich habe es mir auch nicht mit ihr verschissen und das geht schnell, wenn man kein Insider ist.
SC: Du kommst aus einer Handwerksfamilie vom Land. Wie denken deine Eltern über die Künstlerexistenz des rockenden und schreibenden Sohn?
BM: Handwerksfamilie klingt, als würde ich mich hier zum Erfolgsproletarier stilisieren. Meine Eltern besitzen eine kleine Heizungs- und Sanitärfirma und wir haben nicht gerade schlecht gelebt als Kinder. Die Eltern sind nicht doof: die sehen und haben immer gesehen, dass das Erfinden von Begebenheiten mein liebster Broterwerb ist und dass man mich in diesem Leben nicht mehr in eine Firma unter lauter Karrieristen stecken kann, aber insgeheim wünschen sie sich, dass ich doch noch Gymnasiallehrer werde, wie das mein Studium eigentlich einst vorgesehen hatte.
SC: Du betreibst gleich zwei Netzpräsenzen: brennerpassfilm.de und burnster.de. Was können unsere Leser dort erwarten?
BM: Brennerpassfilm.de ist meine Arbeitsseite mit all meinen Projekten. Burnster.de ist das Blog, ich müsste mal beides vereinen. Auf burnster.de schreibe ich über die Bundesliga in einem eher lakonischen und emotionalen Kontext und dann schreibe ich auch hin und wieder was aus dem echten Leben. Das nennt sich „Das falsche Tagebuch“, weil ich nicht akkurat bin, aber immerhin auch nichts beschönige.
SC: Du bist fußballerisch betrachtet Anhänger von Bayern München. Wie schätzt du die Dominanz in der Liga ein und wäre dir persönlich langweilig, wenn du so erfolgreich wärst wie dein Verein?
BM: Bayern wird doch statistisch eh jedes zweite Jahr Meister, ich versteh die Aufregung nicht und langweilig finde ich das schon gar nicht. Dortmund hat uns zwei Jahre am Stück wie den Ochs am Berg aussehen lassen, noch braucht meine Bayernseele Balsam und die bekommt sie in Form dieser utopischen Punktevorsprünge. Und sollte ich selbst jemals auf so einer Erfolgswelle schwimmen, werde ich mein gesamtes Geld in Superheldenfiguren für meinen Sohn und Gitarren für mich investieren und mich ganz sicher nicht langweilen. Ich war in meinem Leben bisher noch nie in irgendeinem Bereich der dezidiert Beste, ich stelle mir Erfolg ganz pittoresk und aufregend vor, also kommen Sie mir nicht mit so etwas Desillusionierendem wie Langeweile.
SC: In den ersten beiden Teilen deiner Krimireihe kamen deine Leser in den Genuss von spektakulären Mordfällen, einer absurden und schwarzhumorig beschriebenen Handlung, durch die deine beiden ungleichen Helden mehr stolpern, als diese gezielt voranzutreiben und von lakonischen Reflexionen über das Leben. Was kannst du unseren Lesern für den Abschluss der Trilogie versprechen?
BM: Im Grunde dasselbe. Der Unterschied ist nur, dass die Geschichte von Mandel und Singer hier vorerst endet. Die Beziehung der beiden war von Anfang an darauf ausgelegt eine Evolution zu durchlaufen, an deren Ende eine Art Resolution steht. Die beiden drehen sich wie zwei physische Elemente umeinander, ohne voll zueinander durchzudringen. Der Leser erfährt ja im Prinzip nie, wie Max Mandel wirklich tickt, er erscheint ja nur in der Projektion Sigi Singers. Doch im dritten Teil gibt es auch einen kleinen Einblick in das Innenleben der Figur des Mandels und das große Finale der beiden im Ring, wo sie den Katalysator finden, um ihre Abgründe endlich auszuagieren. Als Vertreter des wohlsituierten Bürgertums kommen sie ansonsten nicht aus ihrer Haut und bleiben an Konventionen gebunden. Ansonsten ist es der literarischste aller drei Teile, es ist ja auch ein Roman des Bürgertums - und das trotz des Wrestlings. Man muss den neuen Mandel nicht auf dem Scheißhaus verstecken, wenn der Großonkel vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur kommt.
SC: Hast du bereits weitere Buchprojekte nach deiner Mandel-Trilogie geplant?
BM: Ja, ich würde gerne ein Buch über menschliche Kalamitäten und Kommunikationsdesaster am Rande von deutschen Nachkriegskatastrophen vom Brandanschlag in Mölln bis zur Bestie von Beelitz herausbringen. Das würde von todtraurig bis mordskomisch rangieren. Es gibt auch schon eine fertige Geschichte, die mit den Ausläufern des Zugunglücks von Eschede experimentiert.
SC: Wir danken für das Gespräch.
Interview: Mirco Drewes
Foto: Mirco Drewes