
08.09.2015 || Wir treffen die Diktatur der Herzen an der Gormannstraße Ecke Zehdenicker im Prenzlauer Berg, wo das Duo gerade mit seiner monatlich stattfindenden Lesebühne, den Couchpoetos, aufgetreten ist. Die Diktatur der Herzen, das sind Karsten Lampe und Jan von Im Ich.
Stagecat: Hallo ihr beiden! Erzählt uns doch einleitend etwas über euer Selbstverständnis als Diktatur der Herzen. Wer seid ihr eigentlich? Was macht ihr?
Karsten: Wir sind ein recht konstruiertes Projekt, weil wir einen klaren künstlerischen Ansatz verfolgen. Wir singen fast ausschließlich Lieder über den Osten, oder covern Lieder, die eine Ost-Relevanz haben. Was haben wir zum Beispiel gecovert?
Jan: Die Mauer von Christian Anders, da gibt’s auf YouTube einen absoluten Hit von uns. Und wir haben sogar zwei Jahre später einen kleinen Shitstorm von Christian-Anders-Fans über uns ergehen lassen müssen.
Karsten: Ja, die fanden das gar nicht witzig. Die mochten das nicht.
SC: Wo kommt ihr beide denn ursprünglich her?
Karsten: Wir sind beide Ostler. Aber Jan ist Stadtkind, und ich komme aus einem winzig kleinen Dorf kurz vor der polnischen Grenze.
Jan: Ich war damals im Plattenbau schon Diktator.
Karsten: Ich wäre auch Diktator gewesen, es war nur keiner da, der auf mich gehört hätte.
SC: Warum dann der Name Diktatur der Herzen?
Karsten: Wir sind eben brutal, aber auch zärtlich.
SC: Wie ihr gesagt habt, ihr seid ein Stadtkind und ein Landkind. Wie funktioniert denn eure Zusammenarbeit? Wie ergänzt ihr euch, oder wo ergänzt ihr euch nicht?
Karsten: Eigentlich läuft das immer ganz rund. Meistens komme ich mit einem Text an, das war für den Song heute zum Beispiel auch so. Ich kann keine Noten lesen, kein Instrument spielen, ich bin musikalischer Laie. Das überlasse ich auch gerne Jan.
Jan: Sei nicht so hart zu dir. Karsten hat schon erfolgreich Kalimba gespielt, und heute den Casio VL-Tone, den Original Da Da Da-Beat einfach abgespielt. Und du kannst auch hervorragend Sven Väth samplen, also ich verstehe deine Selbstkritik nicht.
Karsten: Ja heute Abend, das war das originale Mini-Keyboard, das Trio damals für Da Da Da verwendet haben.
Jan: Die haben das tatsächlich mit dem Gerät gemacht. Wir dachten, das muss man einfach nochmal zeigen, wo dieses schöne Geräusch herkommt.
SC: Habt ihr Veröffentlichungen für die Zukunft geplant? Ihr habt bisher ein Video herausgebracht, und es gibt einige Lieder online. Auf was arbeitet ihr hinaus?
Jan: Es wird schon daraus hinauslaufen, dass wir ein Album produzieren. Wir müssen uns aber noch überlegen, ob da nur Ost-Cover reinkommen, oder auch ein paar eigene Lieder. Die Ost-Cover sagen jedenfalls schon sehr viel aus. Wir können damit unsere Kindheitstraumata bekämpfen. Wir durften ja beide nicht raus, ich durfte als Kind nicht mal bis zur Mauer gehen, wirklich traurig. Aber meine Familie wollte immer im Osten bleiben. Ich bin ja nicht umsonst Diktator geworden, meine Eltern waren zu DDR-Zeiten auch kleine Diktatoren und haben da mitgemacht bei der Arbeiterdiktatur.
SC: Was bedeutete die Mauer für eure Kindheit oder Jugend?
Karsten: Wir sind zwar in der DDR geboren, aber wir haben diese Zeit nicht bewusst miterlebt. Auch die Postwendezeit der 90er Jahre, die Zeit in der wir aufgewachsen sind, haben wir nicht als diese historische Epoche wahrgenommen, die sie eigentlich war. Diese Aufarbeitung machen wir eben jetzt. Das ist schon auch das, was wir künstlerisch durch unsere Themenwahl und Musik versuchen umzusetzen.
Jan: Die Mauer war für meine Familie nichts besonders schlimmes, sondern sie war nötig um die Intelligenz im Osten zu halten, weil die Arschlöcher ja alle in den Westen rüber wollten, um da viel Geld zu verdienen. Insofern war die Mauer für mich immer etwas Notwendiges und politisch herleitbar, auch wenn die Wirksamkeit strittig ist. Eine Mauer ist da ein bisschen lächerlich, oder? Deswegen haben wir das Lied von Christian Anders gecovert, besser konnte man die Lächerlichkeit der Mauer, die romantischen Sehnsüchte, die dahinter stecken, nicht auf den Punkt bringen. Christian Anders ist ein großartiger Künstler und wir sind ihm sehr dankbar für viel, viel Inspiration und witzige, interessante und auch traurige Stunden.
SC: Wer ist denn euer Publikum? An wen wendet ihr euch?
Jan: Hier in Berlin wohnen ja nur noch Schwaben und Bayern.
Karsten: Das ist natürlich Quatsch. Wir haben allen Menschen was zu geben. Auch wenn ich vermute, dass dem Publikum oft völlig egal ist, was unser Antrieb ist. Man hört es eben auch nicht jedem Song an. Zum Beispiel Spacebaby, wenn man uns nicht kennt, wenn man nichts über uns weiß, erschließt sich der Kontext eventuell nicht. Das ist aber ok.
Jan: Vielleicht verstören wir mitunter (lacht).
SC: Du meintest, dass es dem Publikum egal ist, was der Antrieb hinter den Songs ist. Fühlt ihr euch trotzdem vom Publikum verstanden? Was wollt ihr den Leuten mitgeben?
Jan: Verständnis für uns. Wir sterben auf der Bühne.
Karsten: Es ist alles ein großer Hilferuf. Nein, natürlich wollen wir den Leuten auch Spaß machen.
SC: Und macht ihr es auch nicht fürs Geld?
Karsten: Also heute haben wir 15 Euro verdient.
Jan: ...aber jeweils 15 Euro!
Karsten: Dicke Kohle.
Jan: Naja, ich muss nebenbei schon noch... Also als Diktator ist man ja...
Karsten: ...auf Steuereinnahmen angewiesen.
Jan: Zum Beispiel. Aber ich mache nebenbei noch ein bisschen Geschäft mit schmutzigen Immobilien und ich exportiere Waffen an Länder und Abnehmer, an die nicht mal die Bundesrepublik liefern würde.
SC: Zu eurem Video: Da habt ihr mehrere Filme verarbeitet?
Karsten: Das ist tatsächlich nur ein einziger Film. Plan 9 aus dem Weltall heißt er.
Jan: Man mag es kaum glauben bei all den Ufos, Außerirdischen und Draculas, die da drin vorkommen. Und ich hab letztens gehört, dass der als schlechtester Film der Welt gilt. Das wusste ich noch gar nicht, Karsten.
Karsten: Danach hab ich ihn nicht ausgewählt.
Jan: Ich weiß auch gar nicht wie das passieren konnte, schließlich ist der Film großartig.
Karsten: Den langweiligen Krempel haben wir rausgeschnitten, sozusagen ein Best-Of gemacht. Nur die Außerirdischen, und die eine Kuss-Szene.
SC: Was ist euer Lieblingsfilm?
Jan: Ich hab letztens einen ziemlich coolen Film gesehen, auf Deutsch heißt er Thriller, ein unbarmherziger Film. Ein sehr interessanter Trash-Movie aus den Siebzigern, in dem sich ein Mädchen mit Augenklappe ordentlich an ihren Peinigern rächt.
Karsten: Ich hab neulich in meinem Himmelbett Godzilla auf meinem Smartphone geguckt. Das war auch ein interessantes Erlebnis.
SC: Ihr seid – also vor allem Karsten – neben den Couchpoetos auch auf anderen Lesebühnen unterwegs. Gibt es etwas, was euch an den Berliner Lesebühnen gar nicht gefällt?
Karsten: Nee, ehrlich gar nicht. Ich finde, das ist ein rundherum erfreulicher Zirkel an Menschen. Und ich kenne eigentlich alle Lesebühnen in Berlin. Wobei... das kann ich wohl nur schwerlich behaupten, da ständig wieder neue entstehen.
SC: Worin unterscheiden sich die Couchpoetos von anderen Lesebühnen? Jede Lesebühne hat ihren eigenen Charakter, wie seht ihr euch?
Karsten: Der Unterschied war von Anfang an der, dass die Couchpoetos, dadurch, dass Sarah Bosetti, Daniel Hoth und ich aus der Poetry-Slam-Ecke kommen, sehr viel lyrischer geprägt waren, als viele andere Lesebühnen. Heute ist das nicht mehr unbedingt so, aber vor fünf Jahren konnte man schon noch deutlich sehen: da gab es eine Kante drin.
Jan: …und wir haben auch nicht den Zwang verspürt, ständig das Publikum zum Lachen bringen zu wollen und Comedy machen zu müssen.
SC: Also nur Tragisches?
Jan: Nein das nicht. Obwohl in der Tragik liegt auch viel Schönes, das stimmt.
Karsten: Ich würde einfach sagen, wir sind – das ist so ein blöder Werbespruch, das klingt als würde ich für die Broschüre des Tourismusministeriums texten – aber wir sind eben sehr vielfältig. Da ist für jeden was dabei.
Text: Fabian Schmidinger
Foto: Sarah Bosetti