
12.04.2022 || Fußball ist für sehr viele eine der wichtigsten Sachen dieser Welt! Für viele ist es eine Lebensphilosophie.
Und für mich ist es ein Buch mit sieben Siegeln. Ich glaube, es gibt wenige Menschen hier in Deutschland, deren Nichtwissen in diesem Thema das meinige unterbietet!
Daher habe ich meine fußballbegeisterten Kollegen um Hilfe in Sachen Fragen gebeten. Und ich hoffe, es ist etwas Interessantes dabei!
StageCat: Wie wird man eigentlich Stadionsprecher?
Arnd Zeigler: Das ist nicht wirklich ein Beruf, den man anstrebt, lernen kann und dann ausübt. Jeder Verein hat einen Sprecher oder eine Sprecherin, und je nach Klub und Stadt ist das Tätigkeitsprofil wirklich sehr unterschiedlich. Hat viel mit der Mentalität in der Stadt zu tun, auch mit der Tradition des Vereins, für den man arbeitet. Manche Vereine legen wenig Wert auf eine große Identifikation zwischen Stadionsprecher und Verein und nehmen quasi irgendjemanden, und für andere Vereine ist es elementar, dass der Sprecher die Stimme und ein Gesicht des Vereins sein muss und damit jemand, mit dem sich die Fans des Vereins identifizieren können. Ich wollte schon als Kind Stadionsprecher meines Vereins Werder Bremen werden, und ich wollte schon als Kind Radiomoderator werden. Als dann im Jahr 2001 mein Vorgänger Christian Günther starb, war ich als etwas bekannter Werder-Fan am Mikrofon von Radio Bremen sofort in der engeren Wahl für die Nachfolge. Christian war eins meine Radio-Idole und später ein liebenswerter Kollege bei Radio Bremen. Ich bekam nach seinem Tod dann ein Signal aus dem Verein: Bewirb Dich mal, dann wirst Du es. Und so habe ich mich beworben. Bis heute der letzte Job meines Lebens, für den ich eine Bewerbung schreiben musste.
SC: Wird Werder aufsteigen und falls ja, wie schätzen Sie Werders zukünftige Rolle in der 1. Liga ein?
AZ: Ich hoffe und glaube fest, dass sie es schaffen werden. Und ich hoffe auch, dass der Verein dann runderneuert in der 1. Bundesliga eine Rolle findet, die es Werder Bremen erlaubt, wieder ein fester Bestandteil der Eliteklasse zu werden. Ein Abstieg tut nie gut, aber man muss dann das Beste draus machen. Und wenn es am Ende klappen sollte, direkt zurückzukehren, dann kann man vielleicht die bleierne Zeit der Jahre vor dem Abstieg abschütteln und etwas Neues beginnen.
SC: Warum positioniert Werder sich eigentlich nicht öfter in vorderster Reihe, wie es z.B. St. Pauli und auch Eintracht Frankfurt tun?
AZ: Sie meinen, politisch? Das ist ja nie die Frage eines ganzen Vereins, sondern einzelner handelnder Personen. Ich empfinde es nicht so, dass Werder sich nicht positioniert. Werder ist traditionell ein eher sozialdemokratisch bis links geprägter Verein, der sich seit vielen Jahren auch für soziale Themen und gegen Rassismus, Homophobie, Sexismus und Ausländerfeindlichkeit einsetzt. Werders Präsident Hubertus Hess-Grundewald hat einmal gesagt, dass jeder Werder-Fan sich bewusst sein müsse, dass es ein Widerspruch sei, Werder Bremen gut zu finden und gleichzeitig die AfD zu wählen. Das ist nicht allzu weit entfernt von der Rolle, die z.B. Eintracht Frankfurts Präsident Fischer für sich gewählt hat.
SC: Vermissen Sie als Werderaner die Rivalität mit den Bayern?
AZ: Nein, nicht direkt. Wenn Werder Bremen irgendwann wieder so weit in der Bundesliga angekommen sein sollte, dass sie eine gute Rolle spielen können, dann wäre es mir nicht wichtig, ob man sich mit den Bayern, dem HSV, Köln oder Dortmund um die Spitzenplätze streitet. Momentan ist das sehr weit weg, aber das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Ich würde mir eine erfolgreichere Werder-Zukunft wünschen, unabhängig davon, wer dann der Hauptrivale wäre. Generell würde ich mir eine spannende Bundesliga wünschen, in der es überhaupt wieder eine Rivalität um die Spitzenplätze gibt.
SC: Wo ist Bremen damals unter Allofs falsch abgebogen?
AZ: Da, wo viele Vereine falsch abbiegen: Irgendwann musst Du Dich entscheiden, ob Du den Verein weiter aufbläst, oder ob eine natürliche Grenze erreicht ist. Werder ist serienweise in der Champions League angetreten, über viele Jahre, und hatte irgendwann eine so teure, mit Nationalspielern gespickte Mannschaft, dass man dazu verdonnert war, die internationalen Plätze wieder und wieder zu erreichen, um diese Mannschaft noch refinanzieren zu können. Das ist ein Teufelskreis. Erst in den letzten Jahren wurden die Summen immer höher und sorgen jetzt dafür, dass immer dieselben Vereine die größten Summen kassieren und dadurch ihren Fortbestand in der Champions League immer mehr zementieren können. Die ganz reichen Vereine sind so grotesk aufgerüstet, dass sie in ihren heimischen Ligen kaum Konkurrenz haben und in der Champions League zuverlässig die K.O.-Runden erreichen. Der Graben zwischen diesen Vereinen und denen, die mit ihnen nicht mehr mithalten können, wird immer tiefer. Und als Trostveranstaltung hat man denen dann die Europa League und die Conference League hingeworfen, damit sie international spielen können, ohne die Hochglanzvereine zu sehr zu stören. Werder Bremen hat damals den Sprung nicht ganz geschafft und musste dann immer weiter abspecken.
SC: Ist es wirklich SO befriedigend, besser als der HSV zu sein und reicht das auf Dauer?
AZ: Nein. Ich mag eine kultivierte, sportliche Rivalität mit dem HSV, aber es nützt auf Dauer nichts, sich folkloristisch an so einer Tradition abzuarbeiten, wenn man sonst nichts erreicht. Es irritiert mich immer sehr, wenn ich sehe, dass es Fans gibt, denen eine HSV-Niederlage fast genauso viel Freude zu bereiten scheint wie ein Werder-Sieg. Das ist mir völlig fremd. Ich bin gerne besser als der HSV, aber das ersetzt nicht die Notwendigkeit, gegen 16 andere Mannschaften auch möglichst erfolgreich spielen zu müssen. Ich gewinne lieber gegen den HSV als gegen Sandhausen oder Heidenheim, aber mir geht es immer um Rivalität und nicht um Hass oder Feindschaft. Das ist sehr wichtig. Es gibt ja diesen alten Fan-Klischeesatz, wonach ein Derbysieg wichtiger sei als der Tabellenplatz in der Liga. Das ist absoluter Unsinn.
SC: Ist die 2. Liga nicht eigentlich viel netter?
AZ: Nein. Das lügt man sich schön. Mir macht sie auch gerade viel mehr Spaß, weil mein Verein öfter gewinnt als zuvor und weil die Liga vorne spannender ist. Es gehört aber zur Natur des Sports, sich mit den Besten messen zu wollen, und da ist es keine Lösung, nicht ganz oben mitzuspielen, um gefühlt mehr Erfolg zu haben. Der HSV muss Jahr für Jahr mit jedem weiteren Nichtaufstieg seinen Kader weiter runterfahren und droht ein klassischer Zweitligist zu werden. Und das geht allen Vereinen so, die hohen Aufwand betreiben, um schnell wieder aufzusteigen.
SC: Wann ist für Sie als Nostalgiker das Ende der Kommerzialisierung erreicht oder läuft Bremen mit seinem wenigen Geld da keine Gefahr?
AZ: Doch, die Gefahr gibt es überall. Ich kann das ganz schwer beantworten. Die Kommerzialisierung bringt wahnsinnig viele Ärgernisse mit sich und es ist Jahr für Jahr immer etwas schwerer, das alles noch toll zu finden, aber genau das habe ich andererseits auch 1985 schon gedacht und mein Vater fand schon 1974, dass zuviel Geld im Spiel ist. Ich glaube, dass wir inzwischen erleben, dass die Schraube ein paar Umdrehungen zu weit gedreht worden ist. Es wirkt, als sei es den Entscheidern in FIFA, UEFA und auch bei DFL und DFB eher egal, ob das Produkt Fußball spannend und fair bleibt. Das ist bitter, und wir müssen das wachsam begleiten, damit nicht zu viel kaputtgeht. Die WM in Katar, jedes Jahr die Bayern als Meister, immer dieselben Teams in den letzten Runden der Champions League – das findet niemand mehr gut außer denen, die finanziell davon profitieren. Und das muss jedem bewusst sein.
SC: Was sagen Sie zu RB Leipzig?
AZ: Das ist eine sehr komplizierte Frage. Das Konstrukt RB Leipzig ist keinem Fußball-Traditionalisten sympathisch. Die Vereinsstruktur, die Entstehung des Klubs, die Vereinsphilosophie – das kann niemandem behagen, der den Fußball wirklich liebt. Auf der anderen Seite habe ich Freunde in Leipzig. Die sind dankbar, dass sie nach Jahrzehnten von Dilettantismus und Missmanagement jetzt wieder einen Fußballverein haben, der ihnen erlaubt, in der ja sehr schönen Stadt Leipzig guten Fußball sehen zu können. Die Tradition von Chemie oder Lok ist schön und gut, aber keiner dieser Vereine hat es geschafft, seriös und nachhaltig etwas aufzubauen. Sachsen Leipzig war eine ebenso zum Scheitern verurteilte Geschichte wie der VfB Leipzig. RB ist keine liebenswerte Erfolgsgeschichte, aber ein funktionierendes Konstrukt. Man kann es respektieren, aber es ist schwer, so einen Verein aus tiefstem Herzen zu mögen.
SC: Glauben Sie, dass die Einführung der Champions League der Anfang vom Ende des Fußballs war, den wir kannten und liebten?
AZ: Sie war sicher ein wichtiger Mosaikstein, der sehr viel zum Schlechten verändert hat. Heute geht es um die Vermarktbarkeit eines Produktes und nicht mehr um einen Wettbewerb, der vor allem einen sportlichen Sinn ergeben soll. Ich vermisse sehr die Spannung der Wettbewerbe meiner Kindheit und Jugend. Da waren Spiele wie Bayern gegen Real etwas total Besonderes. Mittlerweile gibt es das gefühlt jedes Jahr. Dafür dürfen die Mannschaft aus Wien, Bukarest oder Anderlecht nicht mehr mitspielen, weil das die immer gleiche Zusammensetzung der Viertelfinals stören könnte. Die Bayern oder ManCity wollen nicht gegen Malmö oder Fenerbahce spielen, sondern lieber zehnmal gegeneinander. Und dass Leute wie wir das vielleicht gar nicht so spannend finden, ist denen egal.
SC: Fällt es Ihnen manchmal schwer, sich noch für Fußball zu begeistern, wenn Sie mitbekommen, dass die Lebenswirklichkeit so vieler im Fußballgeschäft nichts mehr mit der eigenen zu tun hat?
AZ: Natürlich. Der Fußball ist seit vielen Jahren immer etwas unsympathischer geworden, das ist leider so. Aber er ist dennoch so toll, dass immer noch zu viel übrigbleibt, um sich frustriert abzuwenden. Manche tun das. Ich bin noch nicht so weit. Und ich hoffe, dass diesen Punkt nie erlebe.
SC: Vielen Dank für dieses Gespräch!
Interview: JA
Foto: WDR