
05.06.2014 || Toni Mahoni hat für seinen Video-Blog den Grimme-Online Award verliehen bekommen, mit der Mahoni-Band zwei Alben aufgenommen, war Radiomoderator und ist Schriftsteller. Soeben ist sein neuer Roman "Alles wird gut - und zwar morgen" bei Galiani erschienen.
Stagecat: Toni, du bist Berliner. Wo bist du aufgewachsen?
Toni Mahoni: Ich komme aus Köpenick, genauer gesagt aus Oberschöneweide. Das ist der alte Industriebereich von Köpenick.
SC: Ein hartes Pflaster?
TM: Ja schon, heute. Als Kind habe ich davon nicht viel gemerkt. Es war ein typischer Arbeiterbezirk und man war nichts anderes gewöhnt. Es wurde in jedem Fall nach der Wende härter. Die großen Betriebe sind eingeknickt und man hatte mit einem Schlag 35.000 Arbeitslose, die dort wohnten. Und es gab leider keinen Boom der Kneipen deswegen. So war es plötzlich ein Arbeitslosenbezirk mit unglaublich vielen Nazis. Das wurde ungemütlich. Schöneweide war richtiggehend ein Bahnhof der Angst. Viele Leute haben entschieden, dort abends besser nicht mehr vorbei zu gucken.
SC: Gefährlich?
TM: Auf jeden Fall. Es wurde früher viel geflitzt.
SC: In deinem neuen Roman kommen die Eltern der Figur Toni Mahoni vor. Das sind zwei Figuren, die sehr humorvoll sind und die man sofort ins Herz schließt. Weisen diese Figuren Parallelen zu deinen Eltern auf?
TM: Ja, ich habe Glück gehabt mit meinen Eltern, denk ich. Die sind immer cool drauf und haben eine unglaubliche Gelassenheit, was das Leben und die Entwicklung ihrer Kinder angeht. Zudem sind sie echte Genussmenschen. Ich glaube, diese Einstellung habe ich geerbt. Wenn man als Kind schon mitbekommt, wie die Mutter bei jedem Rührei an die Decke geht vor Freude, dann nimmt man davon viel mit für sich selber.
SC: Wann bist du von dort weg?
TM: Mit 25. Ich bin mit 18 von Zuhause ausgezogen, aber zunächst in Schöneweide geblieben. Das hatte auch einen guten Grund: Ein guter Kumpel hatte dort eine schöne Wohnung mit 140 Quadratmetern im ältesten Haus von Schöneweide. Mit einem riesigen Dachgarten, einem Garten mit Springbrunnen. Das war ein kleines Paradies, das man plötzlich mit 18 besessen hatte. Wir haben dort dann eine 4er WG gehabt. Ich hatte auch mit der Stadt noch gar nicht viel am Hut, abgesehen von gelegentlichen Besuchen in Clubs. Und was die Nazi-Sache angeht: Ich hatte mich einfach dran gewöhnt, dass man aufpassen muss, auf der Straße und an bestimmten Ecken. Und Friedrichshain war damals auch nicht nazifrei.
SC: Wie war es damals um deinen optischen Stil bestellt?
TM: Ich hatte lange Rastas.
SC: Damit musstest du bestimmt besonders vorsichtig sein.
TM: (grinst) Da musste man aufpassen, ja. Mit 16 hatte ich einen Iro...
SC: Inzwischen wohnst du in Kreuzberg, in der Nähe des Görlitzer Park. Bist du von Oberschöneweide direkt dort hin?
TM: Nee, ich bin mit 25 Jahren erst nach Friedrichshain gezogen. Ein wenig unfreiwillig, weil das Haus, in dem wir wohnten, verkauft und leergewohnt, sozusagen leer schikaniert wurde. Das Haus steht immer noch leer, sehr traurig. Eigentlich müsste das unter Denkmalschutz, naja...Und als dann klar war, dass man wegzieht, war auch klar, in dem Fall nicht in Schöneweide zu bleiben. Wir haben dann unsere gesamte WG in eine riesige Butze an der Frankfurter Allee vertagt.
SC: Dann hattet ihr eine WG, die sich lieb gehabt hat?
TM: Jaja. Wir waren schon immer Freunde, das sind alles alte Berliner Jugendfreunde. Wir sind aus Liebe und Freundschaft zusammen gezogen. Ich hab überhaupt nur einmal drei Monate alleine gewohnt.
SC: Eine richtig gute WG ist ein hohes Gut.
TM: Unbedingt, das hat auch sehr lange gehalten. Bis die ersten Frauen drauf gedrängt haben, zusammen zu ziehen.(lacht) Ich habe lange in Friedrichshain gelebt, zehn Jahre. Als meine Frau schwanger geworden ist, bin ich nach Kreuzberg gezogen.
Wir kannten uns erst ganz kurz, sie wurde schnell schwanger und dann haben wir geheiratet. Sie hatte eine wunderschöne große Wohnung in Kreuzberg und da wohn ich jetzt. Ungefähr seit anderthalb Jahren. Ist schön. Zwischendurch war ich nach Friedrichshain ein paar Jahre in Weissensee.
SC: Weit ab vom Schuss.
TM: Ich wollte weg von dem ganzen Trubel. Friedrichshain wurde immer stärker zum Ziel für Sauftourismus. Ich war darüber nicht böse, hatte aber das Gefühl, ich bräuchte mal wieder ein bißchen Ruhe. Ein paar Blaumänner sehen, Kittelschürzen und anberlinert werden im Supermarkt. Darauf hatte ich richtig Lust, das hat Spaß gemacht. Es war nicht so hip, das mochte ich eine Weile sehr gern. Irgendwann war es dann auch wieder gut.
SC: Wie warst du in deiner Jugend musikalisch unterwegs? War das Punk?
TM: Nicht so richtig, unsere Band damals hieß "Tobsucht". Ok, wir haben eine Art nachdenklichen Punk gemacht. (lacht) Da waren auch peinliche Dinge drunter. Wir haben schon abgerockt, hatten aber auch die eine oder andere Ballade drunter, was man uns übel genommen hat.
SC: Die orthodoxen Fans haben gesagt: "Jetzt haben sie sich verkauft"?
(lacht) Wir haben unsere Gefühle gezeigt, wir waren nicht immer besoffen. Das konnte man in den Zeiten nicht einfach so bringen.
Später ging es dann in Richtung Singer/Songwriter.
SC: Mit derselben Band?
TM: Ähnliches Personal. Mit dem Gitarristen mache ich jetzt immer noch Musik, seit wir 16 waren.
SC: Er hat dich auch auf deinen beiden Platten mit der Mahoni-Band begleitet?
TM: Genau. Mit ihm habe ich schon ganz viele Sachen durch.
SC: Als Ur-Berliner hast du die großen Veränderungen Berlins in den letzten Jahren mitbekommen. Hat sich dein Blick auf die Stadt verändert?
TM: Die große Veränderung begann ja mit der Wende. Ich war damals 13. Dadurch hat sich die Veränderung der Stadt parallel zur geistigen und körperlichen Veränderung bei mir ereignet. Veränderung kam mir daher ganz normal vor. Ich bin eher über Stagnation traurig. Meinetwegen kann sich Berlin immer weiter entwickeln. Ich war noch nie böse über Entwicklungen, so lange das Gute neben dem Schlechten auch immer wieder aufgeht. Es ist klar, dass schöne und billige Sachen hier und da verdrängt werden, doch so lange noch Platz ist, daneben, und neue Dinge passieren können, ist alles gut. Einzig davor, dass irgendwann die Luft zu dick wird und nichts mehr passieren kann, habe ich Angst. Ansonsten finde ich es auch cool, dass Berlin Hauptstadt ist. Ich kann mich nicht darüber aufregen, dass da dieses Kanzleramt steht. Ich finde es eigentlich ganz schnieke, steht ja auch nur irgendwo, wo ich nicht ständig langlaufe.
SC: Kannst du als Ur-Berliner die Stadt noch als eine besondere Inspirationsquelle wahrnehmen?
TM: Berlin ist meine größte Inspirationsquelle. In Berlin selbst kann ich auch nicht schreiben. Dafür muss ich raus, und wenn es nur ein par Meter nach Brandenburg sind, wo ich mich bei einem Kumpel auf dem Grundstück verstecken kann. Aber in Berlin kann ich nicht, obwohl alles da wäre: Zeit und Ruhe.
SC: In Berlin saugst du wie ein Schwamm auf und abgeben kannst du nur woanders?
TM: So könnte man es sagen. Klar, das ist meine Inspirationsquelle. Hier in Berlin ist wahnsinnig viel los, hier kenn ich mich aus, man sieht wahnsinnig viele Leute auf der Straße, die immer wieder zu neuen Geschichten inspirieren. Man erlebt immer wieder Geschichten, die ja sogar zu absurd sind, um sie in einem Roman zu verarbeiten. Die Wahrheit ist häufig viel krasser. Ich begegne immer wieder Vorurteilen gegenüber meinen Geschichten derart, dass gesagt wird: Ist ja schön und gut, was der sich ausdenkt...Dabei muss ich mich häufig zurücknehmen und schreibe nur die halbe Wahrheit, weil die ganze zu absurd wäre.
SC: Wie kam es zu der Idee, Videoblogs zu machen?
TM: Die Idee kam daher, dass ich damals allein zuhause saß, weil meine damalige Freundin Zahnärztin war und oft nicht da. Ich hatte eine kleine Kamera, mit der man genau 5:12 Minuten aufnehmen konnte. Um ihr zu zeigen, wie sinnlos ich meinen Tag verbringe, habe ich mich mit ihren Kleidern und ihrem Schmuck verkleidet und ihr kleine Botschaften gemacht. Ich habe verschiedene Rollen ausprobiert und irgendwann dann auch mal mit dieser tiefen Stimme gesprochen. Nach zwei, drei Videos mit dieser Figur war ich ein bißchen selbstverliebt und dachte: Das bin ich, das ist ja witzig.
SC: Der Toni Mahoni aus den Videos ist eine Figur oder ein Teil des echten Toni Mahoni?
TM: Die Figur hat so gut funktioniert, eben weil sie so nah dran war. Für mich ist diese Figur wie eine Handpuppe. Ich muss nicht viel tuen, um sie zu bewegen, die quatscht fast von allein. Mit einer Figur kann man natürlich auch viel mehr wagen und ausdrücken, als würde man sich mit seinem ganzen Selbst hinstellen. Man ist mutiger und zugleich begrenzter, kann vielmehr tuen und ausprobieren. (lacht) Zumindest solange das der Figur auch klar ist. Mit der Figur ging es super, nach einigen Versuchen sind die anderen Figuren verblasst. Ich hatte etwas Gutes gefunden und mir deswegen eine Webseite gebaut und zwölf Mahoni-Videos draufgestellt.
SC: Wie wurde Spreeblick auf dich aufmerksam?
TM: Die Webseite habe ich beworben, indem ich mich in alle möglichen Foren eingeloggt habe, und auf meine Seite hingewiesen. Damals wurde man noch nicht dafür gedisst. Beispielsweise habe ich bei Spiegel-Online, Neon, überall mitdiskutiert und dann gesagt:Und nun schaut euch mal an, was der Mahoni dazu sagt und zu meiner Seite verlinkt. Das fanden die Leute witzig und es hat sich verselbstständigt. Irgendwann wurde Jonny Häusler aufmerksam und hat mich zu Spreeblick geholt.
SC: Mein Eindruck des Video-Mahonis war: Das ist ein Typ, der aus einer konkreten Lebenserfahrung, wahrscheinlich deiner eigenen, berichtet, aber das Ganze aus einer Rollenhaltung kommentiert.
TM: Genau.
SC: Dieser Typ hat hohe Ansprüche an sein Leben und die anderen Menschen. Wenn er aus dieser Anspruchshaltung herausfällt und auf sich zurückgeworfen wird, wird schnell klar, er selbst wird aktiv nicht viel zur Realisierung seiner Ansprüche beitragen.
TM: Es ist wie mit dem Buch. Natürlich gibt es Dinge, die man erlebt hat und über die man sich aufregt. Dann macht man eine Geschichte dazu, erfindet ein bißchen was und trifft beispielsweise Robert de Niro beim Bäcker, wenn man es sich gut vorstellen kann.
SC: Eine Figur kann eigene Gedanken in die Welt posauen, die man selbst nicht gut mitteilen kann.
TM: Das ist auf jeden Fall ein Ansatz. Aber das Wichtigste war: Das hat einfach einen riesigen Spaß gemacht, vieles ist garnicht bewusst passiert. Wenn ich morgens verkatert mal einen abgelassen habe, da war wenig Überlegtes dabei.
SC: Wenn wir mal über Markenzeichen sprechen, dann waren im Blog immer Zigaretten, Kaffee, Bier und Kanarienvögel dabei.
TM: Ein Weinchen kommt auch mal vor.
SC: Ist das alles Kunst? Ich schätze, zu einem Kaffee und Bier sagst du nicht nein?
TM: Klar. Obwohl ich natürlich auch gern und bewusst einen Gegenpol gegen Gesundheitswahn und zu viel bewusstes Leben setzen wollte.
SC: Dieses Stilmittel wird wohl immer aktueller, angesichts der sterilen Moral unserer Zeit.
TM: Es ist viel Verlogenes an dieser Gesundheitsgeschichte. In meinem Umfeld gibt es eine gesunde Mischung. Jeder Mensch macht sich mal Gedanken über Alkohol und Zigaretten. Seit einigen Jahren wird es übertrieben. Mich interessiert das heute nicht mehr so sehr, aber weil mich das damals aufgerecht hat, wollte ich mit demonstrativem Genuss Rauchen und Alkohol zelebrieren.
SC: Und die Kanarienvögel waren wirklich in deiner Wohnung?
TM: Ja. Das waren ganz wunderschöne Zeiten mit den Vögelchen. Die musste ich aus vernünftigen Gründen in eine größere Freiheit entlassen. Sie hatten sich vermehrt und waren neun Stück. Jetzt wohnen die in Brandenburg in der größten Papageienzuchtanlage Europas. Sie haben ein riesiges Areal, einen Freilauftkäfig, der so groß ist wie drei bis vier Wohnungen, haben hunderte Freunde und können sich richtig im Schwarmleben austoben. Schweren Herzens dachte ich: Wenn du jemanden liebst, lass ihn frei.
SC: Von 2005 bis 2008 hast du beim Spreeblick deinen Videoblog gemacht. 2006 habt ihr den Grimme-Online-Award bekommen.
TM: Die Seite hat den Award bekommen, einer der drei Gründe waren "meine schnoddrigen Videos". Jonny und Tanja Häusler, die die Seite gemacht haben und ich haben den Preis gemeinsam bekommen.
SC: War das für dich ein Sprungbrett, hat sich durch den Preis viel für dich verändert?
TM: Nö. Die Seite war damals auf dem Höhepunkt was Klickzahlen angeht und der Preis war eine Bestätigung dafür, dass es wirklich eine gute Seite ist. Es gab vielleicht einen kleinen Hype, aber diese Online-Awards sind, wie so vieles im Netz, kurzlebig. Der Preis war maximal wichtig für Leute, die auf so etwas Wert legen und so aufmerksam wurden.
SC: Wieso hast du mit den Videoblogs aufgehört?
TM: Nachdem ich bei Spreeblick aufgehört hatte, habe ich eine zeitlang noch auf meiner Seite weitergemacht. Irgendwann war das zweihundertste Video online und ich habe festgestellt, dass ich das Ganze mittlerweile nicht mehr mit derselben Freude machte, wie am Anfang. Ich wollte aber nichts machen, was mir keine richtige Freude bereitet. Die Videoblogs fühlten sich etabliert an, man erwartete das von mir. Darauf hatte ich nicht so viel Lust und habe dann bloß noch neue Videos gemacht, wenn mir gerade danach war. So trudelte das aus. Außerdem war ich zu der Zeit viel live mit der Band unterwegs.
Interview: Mirco Drewes
Foto: Mirco Drewes