20.08.2014 || Peter Vollmer ist Kabarettist und "praktizierender Patient". In dieser Doppelrolle hat es sich der Kölner zur Aufgabe gemacht, das öffentliche Gesundheitssystem einer genauen und humoristischen Untersuchung zu unterziehen. Im Goldmann Verlag ist seine lesenswerte Anamnese "Darf's noch eine Hüfte sein? Verarztet oder verarscht?" erschienen.
Stagecat: Herr Vollmer, Sie stammen aus einer Pädagogen-Familie. Sind Sie Kabarettist geworden, weil es Ihnen in die Wiege gelegt wurde, sich um die Schutzbedürftigen unserer Gesellschaft zu kümmern?
Peter Vollmer: Wenn man sich die Situation an den Schulen anschaut, sind es ja immer öfter die Pädagogen, die vor ihren Schülern geschützt werden müssen; da bin ich mit dem Kabarettpublikum vergleichsweise gut bedient. Ansonsten sind die Tätigkeitsbereiche durchaus vergleichbar. Vorteil der Lehrer: Sie haben automatisch volles Haus. Klarer Nachteil: Es werden bei ihnen nur selten Zugaben gefordert.
SC: Als gebürtiger Hesse, der in Baden studiert hat, leben und arbeiten Sie mittlerweile in Köln. Wie kommen Sie mit dem Kölschen Klüngel zurecht?
PV: Ganz hervorragend. Der Klüngel ist ein Erfolgsmodell, an dessen Verbreitung ich mich sogar selbst aktiv beteilige. Ich nenne es dann nur anders, nämlich „Netzwerkbildung“.
SC: Auch im Gesundheitswesen wird oben viel geklüngelt und unten im Wartezimmer sitzen die Schutzbedürftigen. Wie kam es zu dem Entschluss, Ihren kabarettistischen Schwerpunkt auf das Gesundheitswesen zu legen?
PV: Was im Bereich der Medizin passiert, finde ich einfach unglaublich spannend. Und das Thema beschäftigt mich nicht nur auf der Bühne; im wirklichen Leben bin ich ja selbst praktizierender Patient.
SC: In Ihrem neuen Buch „Darf’s noch eine Hüfte sein?“ leisten Sie humorvolle Aufklärungsarbeit rund um das Thema Gesundheit. Neben der Krankheitsbekämpfung steht immer stärker auch die Selbstoptimierung im Vordergrund. Droht uns eine Zweiklassenmedizin?
PV: Ich glaube, die haben wir längst. Wobei es auch unter den Privatpatienten große Unterschiede gibt; wenn man z.B. im Basistarif versichert ist, den die Mediziner als “Barfußtarif“ bezeichnen.
SC: Der Markt für frei verkäufliche und sogenannte Aufbau- oder Ergänzungspräparate brummt, ebenso hat die alternative Medizin Konjunktur. Findet hier eine begrüßenswerte Emanzipation von der klassischen medizinischen Behandlung statt oder geraten wir in die Fänge einer abzockerischen Industrie?
PV: Selbst in der klassischen Schulmedizin sind viele Präparate und Behandlungen nicht wirkungsvoller als Placebos. Wer sich in die Hände der Alternativmediziner begibt, oder seine Pillen selbst einkauft, muss schon ein sehr glückliches Händchen haben, denn hier sind die positiven Wirkungen, welche die Anbieter versprechen, oft gar nicht belegt.
SC: Jeder kennt das geflügelte Wort vom „Halbgott in Weiß“. Woher kommt diese sakrale Verehrung des Arzt-Berufs und was sagt die puritanische Moralhygiene unserer Zeit über unser Seelenheil aus?
PV: Die traurige Wahrheit ist ja, dass unser Körper ein Produkt mit begrenzter Haltbarkeit ist. Das wissen wir und hoffen deshalb darauf, dass es jemanden geben möge, der mit der göttlichen Gabe gesegnet ist, den Verfallsprozess immer weiter hinauszuschieben. Da wollen wir gar nicht wahrhaben, dass wir es bei Ärzten eigentlich nur mit ganz normalen Menschen zu tun haben, die nur etwas mehr Geld verdienen als viele andere.
SC: Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist es, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Wie nehmen diese in Zeiten des forcierten Wettbewerbs mit privaten Anbietern ihre Aufgabe wahr?
PV: Indem sie selbst den Wettbewerb anheizen. Was man auch am Personal sieht: Immer mehr Kräfte aus der Wirtschaft, gegenüber den früher vorherrschenden Sozialversicherungsfachangestellten, kurz „Sofas“. Ob der Wettbewerb aber immer dem Wohl der Patienten dient? Ich melde meine Zweifel an.
SC: 2011 sollte die Erhebung von Zusatzbeiträgen der gesetzlichen Krankenversicherer einkommensunabhängig werden. Was bedeutet die Abkehr vom Solidaritätsprinzip für die Zukunft der Gesundheitsversorgung?
PV: Hier gab es zuletzt ein begrüßenswertes Einlenken. Zusatzbeiträge werden doch wieder ans Einkommen gekoppelt. Noch problematischer finde ich die Tatsache, dass die wirklich hohen Einkommen sich – weil privat versichert oder wegen der Deckelung durch die Beitragsbemessungsgrenzen – im Grunde gar nicht an der solidarischen Gesundheitsfinanzierung beteiligen. Und dass es bislang auch nur wenige Stimmen gibt, die hier ein Umdenken einfordern.
SC: Im Kampf mit Pharma- und Ärztelobby: Wo steht die Bundesregierung?
PV: Bei einer Großen Koalition ist ein Umsteuern in der Gesundheitspolitik per se unwahrscheinlich. Noch dazu hat sie einen Gesundheitsminister bestimmt, dem es vor allem darum zu gehen scheint, möglichst wenig aufzufallen.
SC: Dem Patientenwohl soll das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) dienen. Was ist von der Arbeit dieses öffentlich finanzierten Instituts zu halten?
PV: Das IQWiG gilt als eine der wenigen Institutionen, die zumindest den Anspruch haben, die Patienten möglichst objektiv zu informieren. Von den Öffentlichkeitsorganen der Pharmaindustrie, der Versicherungen oder der Krankenhäuser ist das eher nicht zu erwarten.
SC: Woran erkenne ich eigentlich, dass ich bei einem Arzt in guten Händen bin?
PV: Wenn ich als 90jähriger an der Ziellinie des Halbmarathons von einer hinreißenden Frau und einer begeisterten Schar von Enkeln und Urenkeln gefeiert werde. Dann hat der Arzt im Großen und Ganzen alles richtig gemacht.
SC: Wie sieht ihre Prognose für das Gesundheitswesen in zwanzig Jahren aus?
PV: Medizin muss dann vor allem schnell gehen und kostengünstig sein. Im Krankenhaus z.B. gibt es dann die Drive-in-OP. Man wird im Auto vorgefahren, dann heißt es „Rücklehne runter, Hüfte raus, zugenäht und ab nach Haus!“
Interview: Mirco Drewes
Foto: Ulrike Reinker
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