
02.12.2014 || Für Jess Morgan war es ein aufregendes Jahr. Die Songs ihres neuen Albums schafften es ins Radio, sie trat bei großen Folk-Festivals auf. Wir treffen die junge Britin auf ihrer Europa-Tour in Berlin.
Stagecat: Hallo Jess, wie war der Auftritt gestern Abend?
Jess Morgan: Nachmittags habe ich im Laika in Neukölln gespielt. Abends dann in einem privaten Künstlerhaus, wo verschiedene Künstler arbeiten. Sie haben alles schön hergerichtet, mit Kerzen und haben Kuchen gebacken. Das war wirklich schön.
SC: Du spielst drei Mal in Berlin. Wie kommt das?
JM: Mit den beiden Gigs gestern spiele ich sogar vier Mal. Heute spiele ich in An einem Sonntag im August und morgen in Mein Haus am See. Ich war schon mal hier. Damals habe ich im intersoup im Prenzlauer Berg gespielt. Ich hatte aber damals keine Zeit, etwas von der Stadt zu sehen. Deshalb bin ich dieses Mal gleich für drei Tage hergekommen.
SC: Magst du Berlin?
JM: Ja sehr. Ich hatte heute einen tollen Tag. Ich bin überall hingelaufen. Vor allem hier in Neukölln, wo ich wohne und in Kreuzberg. Ich war an der East-Side-Gallery und in der Nationalgalerie.
SC: 2014 war ein spannendes Jahr für dich…
JM: Ja das stimmt. Mein Album ist im April rausgekommen und ich habe sehr viele Gigs gespielt. Große Radiosender in UK wie BBC haben meine Songs gespielt. Das war wirklich toll. Auch hier in Deutschland bin ich viel aufgetreten. Ich habe einen Instore-Gig im größten Saturn in Köln gespielt und auch die deutschen Radiosender haben meine Songs gespielt. Es war wirklich toll.
SC: Bist du gerne auf Tour?
JM: Ja. Absolut. Viele meiner Ideen für Songs bekomme ich auf Tour, im Bus oder im Zug. Ich denke sehr viel in Bildern und gehe deshalb raus, um Dinge zu sehen. Die speichere ich in meinem Gedächtnis und wenn ich Gitarre spiele, dann legen sich die Bilder über den Sound. Ich brauche es nicht unbedingt gemütlich und ruhig zuhause. Auf dem Weg von Leipzig, wo ich vorher war, nach Berlin habe ich auch Lyrics geschrieben. Es ist eine schöne Art sich die Zeit zu vertreiben.
SC: Wie ist es, wenn du zurück nach Hause (nach Norwich) kommst und dort ein Konzert gibst?
JM: Ich spiele nur selten in Norwich, dafür aber größere Konzerte. Im Oktober haben wir zum Beispiel eine umgebaute Kirche gemietet. Wir haben Stühle und eine Bar rein gestellt, um eine schöne Atmosphäre zu schaffen. Es gab nur 60 Tickets und es war ein wirklich schönes, intimes Konzert. In Norwich könnte ich auch an größeren Orten spielen, aber ich finde es schön, etwas Kleines und Spezielles zu machen.
SC: Du hast gesagt, dass deine Musik vom amerikanischen Folk und Country beeinflusst ist. Woher kommt das?
JM: Ja, das ist einer der starken Einflüsse in meiner Musik. Ich liebe auch die britische Folkmusik, aber im amerikanischen Folk ist so eine Art verdrehter Blus zu hören. Es ist diese Art von Einflüssen in der Musik, die sie für mich besonders macht. Es ist doch so: Man hört unterschiedliche Musik und mag unterschiedliche Stile. Aber es gibt eine, bei der du noch ein bisschen mehr hinhörst, weil du eine Verbindung zu ihr hast. Bei mir ist das so mit amerikanischer Country- und Folkmusik.
Ich mag nicht so sehr die Mainsteam-Country-Musik. Manches ist ok. Aber dieses Singer und Songwriter Revival in den 70ern ist meine Musik. Ich mag sie sehr.
SC: Welche Musik magst du noch besonders?
JM: Dieses Jahr habe ich ein paar Tracks rausgebracht für die ich mit Elektro-Produzenten zusammen gearbeitet habe. Sie schicken mir die Musik und ich schreibe dann Melodie und Lyrics dazu und singe sie auch. Langsam beginne ich also auch Trance zu mögen.
Außerdem habe ich viel über Musik aus Filmen gelernt. Mein Lieblingsfilm aller Zeiten heißt “The Commitments“. Ein britisch-irischer Film über die Gründung einer Soul-Band in Dublin.
Wenn ich als Kind Musikfilme gesehen habe, dann habe ich immer gedacht: Das ist, was ich später unbedingt machen will.
Ich habe viele Musiker-Freunde, von denen ich gerne die Musik höre. Vor allem auf Tour ist es schön, eine bekannte Stimme zu hören.
SC: Wann hast du dich in die Musik verliebt?
JM: Als ich jünger war hatten CD’s noch einen Wert. Man hat damit nicht so um sich geschmissen, wie man das heute oft tut. Ich habe immer die Booklets raus genommen und sie mir angesehen. Für mich waren CDs einfach sehr wertvoll.
Mein Vater war in einer Band. Wir sind immer zu seinen Konzerten gegangen. Musik war immer um mich in unserer Familie. Und ich hatte Glück, dass ich diejenige von uns drei Kindern war, die immer mit meinem Vater in die Gitarrenshops gegangen ist. Dort habe ich die Instrumente angeschaut und gewusst, dass ich irgendwann selbst spielen werde.
SC: Wann hast du begonnen deine eigenen Songs zu schreiben?
JM: Das war auf Spielzeuggitarren (lacht). Mit 10 Jahren habe ich dann meine erste richtige bekommen.
In der Grundschule gab es einen Lehrer, der Gitarre spielte. Einige meiner Freunde begannen auch zu spielen und wir hatten einen kleinen Gitarren-Club. Auf der Highschool habe ich in einer Band gespielt. Aber ich habe mich damals immer im Hintergrund gehalten und Bass gespielt. Ich war viel zu schüchtern, um zu singen.
SC: Wie kam es dann, dass du angefangen hast zu singen?
JM: Das begann, als ich von zuhause weggezogen und zur Uni gegangen bin. Und wenn man irgendwo ist, wo einen niemand kennt, kann man sich neu erfinden. Eigentlich wusste ich immer, dass ich singen kann. Ich dachte nie, dass ich eine Stimme habe, die Menschen mögen, aber ich wusste, dass ich die Töne traf wenn ich mitsang.
Am Campus gab es eine Open-Mike-Night. Aber ich musste einige Male hin gehen, bevor ich mich getraut habe, auf die Bühne zu gehen. Als ich dann gesungen habe waren die Reaktionen wunderbar. Es war wirklich spannend, denn ich war immer durchschnittlich in den meisten Dingen. Plötzlich als gut angesehen zu werden war ziemlich schockierend. Ich habe mich da dann komplett reinfallen lassen. Obwohl ich eigentlich nach der Uni zur Navy zu gehen wollte, habe ich mich tausend Mal mehr in die Musik verliebt. Alles hat sich dann verändert. Ich bin nach der Uni nach London gezogen, um Musik zu machen und damit mein Geld zu verdienen.
SC: Stimmt es, dass du dein erstes Album in deinem eigenen Label „Amateur Boxer Records“ veröffentlich hast?
JM: Ja. Alles, was ich gemacht habe, ist in meinem Label erschienen. Ich werde von Shellshock (Independent Music Distribution) unterstützt. Das ist die Firma, die meine Musik auch in anderen Ländern bekannt macht.
SC: Stimmt es, dass du von dem norwegischen Producer Hans Petter Gundersen dazu inspiriert wurdest dein eigenes Label zu gründen?
JM: Ja, das stimmt. Ich habe mit ihm an meinem ersten Album gearbeitet und er hat sehr an mich und meine Musik geglaubt. Ohne ihn hätte ich kein Album. Damals, als My Space noch im Trend war, sind wir darüber in Kontakt gekommen. Ich habe ihn gefragt, was es kosten würde eine EP aufzunehmen. Er nannte mir einen Betrag und ich wollte anfangen zu sparen. Aber er sagte mir, wenn ich nächste Woche kommen würde, könnten wir eine Plate umsonst aufnehmen. Ich habe mir ein Ticket gekauft und bin hin geflogen.
SC: Bedeutet für dich ein eigenes Label größere musikalische Freiheit?
JM: Ja, absolut. Allerdings hat man dann auch die andere Arbeit. Rechnungen müssen bezahlt werden usw..Trotzdem macht es Spaß mein eigenes Label zu haben. Ich würde gerne mehr damit machen. Später vielleicht. Momentan nimmt meine Musik sehr viel Zeit in Anspruch.
SC: Stimmt es, dass du dein zweites Album durch eine Crowdfunding Aktion veröffentlicht hast?
JM: Ja, das stimmt. Das ist zwei Jahre her. Damals war Crowdfunding noch nicht so bekannt wie heute. Nur einige meiner Freunde hatten so etwas gemacht. Ich habe mich sehr darum bemüht, dass sich alles um die Musik dreht, damit es kein Celebrity-Ding wird. Das ist nicht, was ich will. Es lief gut. Wir haben das Ziel erreicht und ich habe das Album gemacht. Es war natürlich auch eine gute Art, ein bisschen bekannter zu werden. Weil die Leute an der Methode interessiert waren und am Ende wirklich ein Album gesehen haben, das sie mit ermöglicht haben.
Beim Crowdfunding erzählst du den Menschen deine ganze Geschichte. Und Menschen mögen Geschichten. Bei der ganzen Crowdfunding-Sache geht es nicht nur um das Geld. Es geht um die Menschen, die hinter dir stehen und die an deine Idee glauben.
Es war schön zu sehen dass so viele Leute wirklich wollten, dass ich ein zweites Album mache. Sie haben nicht nur gesagt: „Mach eins“, sondern haben es mit ermöglicht.
SC: Hast du einen Lieblingssong auf dem neuen Album?
JM: Ja: "The Last Song". Die Lyrics haben einen komplett anderen Stil als die anderen. Normal erzähle ich in meinen Liedern Geschichten. Hier habe ich wirklich versucht etwas poetischer zu sein. Ich hatte eine starke visuelle Vorstellung und ich habe sehr stark versucht, dass die Worte visuell sind. Ich bin sehr stolz auf diesen Song.
SC: Bist du noch aufgeregt bevor du Spielst?
JM: Ja, ich bin noch immer nervös. Ich habe noch nicht diese Sicherheit gewonnen, dass ich nicht mehr aufgeregt bin. Es hängt immer auch vom Publikum ab wie lange ich brauche um locker zu werden bei einem Gig. Die Stimmung ist enorm wichtig.
SC: Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Lotta Lewis
Foto: Lotta Lewis
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