22.02.2013 || StageCat: Gib uns doch mal eine kleine Einführung: Wer bist du, wo kommst du her und was hat Dich nach Berlin verschlagen?
Paul Bokowski: Ich komme aus einer polnischen Familie, die Anfang der 80er Jahre aus dem kommunistischen Polen geflohen ist. Viele polnische Flüchtlinge dieser Zeit haben ihre Herkunft und Identität zum Wohle einer zügigen Integration aufgegeben. Natürlich störe ich mich nicht daran, wenn ich gelegentlich als Pole bezeichnet werde, aber die Wahrheit, die mich oft ein wenig wehmütig stimmt, ist wohl, dass ich keine besonders ausgeprägte polnische Identität in mir trage.
SC: Du bist in Mainz am Rhein geboren, in Wiesbaden groß geworden. Zwei Städte, zwei Bundesländer. Wo ist deine Heimat?
PB: Auch das Konzept der Heimat ist mir bis heute etwas fremd geblieben. Vielleicht sind Menschen, die kein starkes Nationalempfinden in sich tragen, generell ein bisschen zurückhaltender, wo und ob sie Wurzeln schlagen. Auch Heimweh ist für mich eher ein theoretisches Konzept. Erst als ich zum Studium nach Berlin gezogen bin, habe ich zum ersten Mal eine gewisse Verwurzelung erfahren. Ich lebe nicht ohne Grund seit nahezu 10 Jahren in dieser Stadt. Und nicht ohne Grund seit nahezu 10 Jahren im Wedding. Nicht nur mein persönliches Umfeld, auch meine hier ansässige Lesebühne hat den Bezirk schnell zu einem Ort werden lassen, dem ich mich deutlich stärker verbunden fühle, als jener Karnevalshochburg oder jener hessischen Kurstadt in der ich groß geworden bin. Der Wedding mag nicht zwangsläufig meine Heimat sein, aber ich empfinde ihn durchaus als mein Zuhause. Weshalb er natürlich auch in vielen meiner Texte und Geschichten eine tragende Rolle spielt.
SC: Der Wedding ist eigentlich ein Arbeiterbezirk. Was hat dich als eingefleischten Weddinger denn dazu bewogen, als Autor und damit als Künstler zu arbeiten?
PB: Ein Teil meines Autorendaseins ist natürlich auf tiefe Leidenschaft zurückzuführen, diesen inneren Drang meine Gedanken und Erlebnisse zu Papier zu bringen. Und Erlebnisse gibt es hier im Wedding reichlich. Aber erst durch den Zuspruch von guten Freunden habe ich den Mut gefunden die Ergebnisse dieser Leidenschaft nach Außen, an die Öffentlichkeit zu tragen.
SC: Zu deiner Lesebühne, den Brauseboys?
PB: Richtig. Hätten meine Freunde mich nicht dazu gedrängt, mich als Lesebühnenautor zu versuchen, ich hätte vielleicht nie die Bestätigung erfahren, die mir schlussendlich den Mut und die Kraft gegeben hat, mein Hobby im sprichwörtlichen Sinne zum Beruf zu machen. Der Erfolg meines Buches hat diese Entscheidung bekräftigt und auch nach Außen hin gefestigt. Sogar meine Familie, die bisher noch sehr sorgenvoll auf die Unsicherheiten eines freischaffenden Daseins geblickt hat, entwickelt zusehends Vertrauen und Stolz darauf, wie ich meinen Lebensunterhalt bestreite.
SC: Man spricht vermutlich nicht ohne Grund von einer brotlosen Kunst. Hast du Angst vor der Zukunft? Dass es nicht immer so gut laufen könnte wie jetzt?
PB: Natürlich bringt der Beruf des Autors viele Unsicherheiten mit sich. Und natürlich habe ich mit meinem ersten Buch eine gewisse Fallhöhe geschaffen. Aber eben auch ein gewisses Selbstvertrauen, dass ich diese Fallhöhe nicht als Verunsicherung empfinden muss. Fallhöhe bedeutet ja im Grunde nichts anderes als eine gewisse Erwartungshaltung: Die Erwartung meines Publikums und meiner Leserschaft nach mehr. Nach neuen Texten, neuen Auftritten und vielleicht auch einem ersten Roman. Das sind alles Dinge, die mich in meiner Hoffnung bestätigen, mit etwas Glück noch lange Zeit als Autor tätig sein zu können.
SC: Erzähl uns etwas über dein aktuelles Buch.
PB: "Hauptsache nichts mit Menschen" ist eine Zusammenstellung meiner schönsten und erfolgreichsten Geschichten der letzten Jahre. Geschichten, die größtenteils für meine Auftritte auf den diversen Berliner Lesebühnen, allen voran natürlich den Brauseboys entstanden sind. Gerade dort wurde ich sehr oft von Zuschauern gefragt, wann denn nun endlich mein erster eigener Geschichtenband erscheint. Es gab also einen deutlichen Druck, nach einer Handvoll Gemeinschaftspublikationen mit meinen Brauseboys-Kollegen und auch anderen Autoren, endlich ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Bei der Durchsicht meiner damaligen Texte hatte sich schnell ein großes, wiederkehrendes Überthema herauskristallisiert: Menschen. Mein eigener, neurosenschwangerer Blick hatte im Laufe der Zeit eine bunte Mischung der absurdesten Gestalten, merkwürdigsten Begegnungen und sonderbarsten Erlebnisse zusammengetragen.
SC: Dein Buch hat schon auf der Leipziger Buchmesse für Aufsehen gesorgt. Vor allem wegen seines Titels. Wie kam es denn zu "Hauptsache nichts mit Menschen"?
PB: Eine der Geschichten, die ich für das fertige Manuskript in Betracht zog, endete mit diesem Ausspruch, in dem ich schließlich den perfekten Titel für mein Buch erkannte. Mit dem Nebeneffekt, dass ich seit Veröffentlichung nahezu regelmäßig gefragt werde, ob ich ein Misanthrop bin. Aber das war ja zu erwarten.
SC: Und? Bist du einer?
PB: Natürlich steckt in dem Buch eine tiefe Überzeugung, aber wer es gelesen hat, dem wird schnell dämmern, dass auch in seinem Titel ein gewisse Ironie zu finden ist.
SC: Woher nimmst du die Ideen für deine Geschichten? Was inspiriert dich?
PB: Eine der wichtigsten Eigenschaften eines Autors besteht wohl in der Fähigkeit Geschichten und Erzählungen von Grund auf zu konstruieren. Ich beneide Autoren, bei denen diese Fähigkeit ausgeprägt vorhanden ist. Sie scheinen von der klassischen Vorstellung der Inspiration unabhängiger zu sein, als ich es mitunter bin. Obwohl ich, wie die meisten der zahlreichen Autoren der Berliner Lesebühnenszene, einen Großteil meiner Inspiration aus alltäglichen Begebenheiten ziehe, kann es gerade in dieser Hinsicht immer wieder zu gewissen Engpässen kommen. Ich schaue trotzdem mit einer gewissen Gelassenheit dabei zu, wann und wie sich eine neue Geschichte entwickelt.
SC: Woher kommt diese Gelassenheit?
PB: Ich glaube, dass ein sehr großer Teil der humoristischen Wirkung meiner Texte auf der Tatsache basiert, dass die Kernereignisse meiner Geschichten so alltäglich und allgegenwärtig sind. So kann nahezu jeder Zuhörer oder Leser Stränge in meinen Texten erkennen, die ihm oder ihr vertraut sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Buch auch nur annähernd so erfolgreich wäre, wenn ich die Geschichten mühevoll konstruiert und nicht aus den Erlebnissen meines eigenen Alltags heraus gespeist hätte.
SC: Das Buch ist jetzt in der 5. Auflage. Das ist gerade für einen Kleinverlag wie Satyr bemerkenswert. Habt ihr so einen Erfolg erwartet?
PB: Als wir das Buch in Druck gegeben haben, mussten wir eher davon ausgehen, dass es in Lesebühnen- und PoetrySlam-nahen Kreisen verhaftet bleiben würde. Als Autor eines kleinen unabhängigen Verlages treffen hier die Hoffnungen und das Vertrauen in die eigenen Texte auf einen gewissen ökonomischen Realismus. Ich war zurückhaltend mit meinen eigenen Erwartungen. Ich habe mich innerlich darauf eingestellt, dass ich den überwiegenden Teil der ersten Auflage selbst verkaufen würde. Bei meinen Auftritten und Lesungen zum Beispiel. An eine zweite Auflage habe ich am Anfang überhaupt nicht zu denken gewagt.
SC: Aber ganz ehrlich, gab es nicht irgendwie doch die heimliche Hoffnung, dass sich das Buch zu einem Bestseller entwickeln würde? Den kleinen stillen Tagtraum, auch die breite Masse damit zu erreichen?
PB: Das Buch richtete sich in seiner Entstehungsphase in erster Linie an Menschen, denen ich als vortragende Person, als Vorleser begegnet und in Erinnerung geblieben war. Menschen, die mich von einer Lesebühne, einem PoetrySlam oder einer Kleinkunstbühne kannten. Das war meine Definition der breiten Masse. Genau diesen Menschen wollte ich die Möglichkeit geben, die Texte, die ich vorgetragen hatte, auch in gedruckter Form noch einmal Nachlesen zu können und vielleicht auch ein paar der anderen Geschichten zu entdecken und gefallen daran zu finden. Als aber die Mail meines Verlegers eintrudelte, dass wir nach nicht einmal fünf Wochen die komplette erste Auflage verkauft hatten, dämmerte mir, dass das Buch auch fernab meiner Bühnenpräsenz funktionierte.
SC: Wenn so ein unerwarteter Erfolg eintritt, stellt man sich dann nicht die Frage "Warum kaufen die Leute mein Buch eigentlich?"
PB: Natürlich wurde der Kreis der Käufer gerade für mich als Vorleser und Bühnenautor nicht mehr überschaubar, nicht mehr erfass- oder erklärbar. Das Buch wurde weitergereicht, verschenkt, verliehen, es wurde empfohlen und schmackhaft gemacht. Und alles ohne mein direktes Zutun. Die Frage, warum die Leute mein Buch kaufen, verlor für mich gerade dadurch an Bedeutung, da die Antwort mir ohnehin abgenommen wurde. Was als ein direktes Buch zwischen Autor und Leser begann, wurde mehr und mehr zu einem Buch zwischen Leser und Leser. Mittlerweile passiert es mir, dass mir in der Bahn völlig unbekannte Personen gegenüber sitzen und ausgerechnet mein Buch lesen. Personen, die nicht die leiseste Ahnung davon haben, wer sie da gerade mit einem breiten und stolzen Grinsen im Gesicht beobachtet.
SC: Dein Buch wurde besonders in der Online-Community sehr gut aufgenommen. Viele Bücherblogs haben es empfohlen, auch deine Bewertungen bei amazon sind fast ausnahmslos positiv. Wie gehst du mit Kritik um?
PB: Meine Lesungen und Auftritte geben mir die Möglichkeit eine sehr direkte und enge Beziehung zu meinem Publikum zu pflegen. Ich bin jetzt seit 6 Jahren Mitglied meiner Lesebühne und damit auch fester Bestandteil der gesamten Berliner Lesebühnenszene. Ich stehe wöchentlich mit meinen Texten auf der Bühne. Kritik erfahre ich demnach in erster Linie durch die Reaktionen meiner Zuhörer, durch Applaus, durch Gelächter. Das ist eine Form des Feedbacks, die ich ausgesprochen schätze, weil sie so unmittelbar, direkt und ehrlich ist. Diese Reaktionen eines breiten Publikums gestatten mir einen oft wesentlich objektiveren Blick auf meine Texte als einzelne subjektive Kritiken.
SC: Im Gegensatz zu dir, gibt es Autoren, die ungern im Licht der Öffentlichkeit stehen. So manchem Erfolgsschriftsteller wäre der Gedanke, seine Texte vor einem Publikum vorzutragen ein Graus. Verpassen deine Kollegen etwas?
PB: Die Gelegenheit, durch fremde Augen ein Gespür für die Qualität der eigenen Texte zu entwickeln, betrachte ich als literarischen Luxus. Lange Zeit bevor ein Text in den Druck geht bekomme ich so die Möglichkeit, ihn handwerklich in Inhalt und Umsetzung zu verbessern. Wieder und immer wieder auszuprobieren. Mir selbst schaffe ich damit ein Stück Gewissheit, dass ich Leser und Kritiker auch fernab meiner Auftritte und Lesungen gleichermaßen zufrieden stellen kann. Das ist ein Nebeneffekt des Lesebühnendaseins, den ich wirklich nicht missen möchte. Vielleicht bin ich ja gerade deshalb vor allzu negativer Kritik verschont geblieben. Ein gewisses Grundvertrauen habe ich dadurch allemal entwickeln können. Eine Gelassenheit, die mir hilft missgünstige oder subjektive Kritik nicht sonderlich persönlich zu nehmen.
SC: Eine Frage haben wir noch. Wenn man den Namen Paul Bokowski googelt, stößt man schnell auf die Seite www.dermusshabensiebensachen.de - ein Backblog. Magst du uns zum Abschluss noch erklären wie es dazu kam?
PB: Mein Backblog ist aus der Kombination zweier Hobbies hervorgegangen. Ich fotografiere gerne und habe vor einigen Jahren ein glückliches Händchen für frisches Backwerk an mir entdeckt. Da ich selbst ein sehr emsiger Konsument von diversen Blogs verschiedenster Themen bin, lag die Idee nahe, das Fotografieren und das Backen in einem eigenen Blog zusammenzuführen. Leider fehlt mir seit Veröffentlichung meines Buches die Zeit, diesen Backblog mit Regelmäßigkeit und Hingabe zu pflegen. Es kommen trotzdem jeden Tag mehr als 2000 Besucher auf meine Seite. Der Blog erfährt noch immer eine große und sogar steigende Popularität. Ich werde überraschend oft erkannt und darauf angesprochen. Wenn ich ehrlich bin, sogar deutlich öfter als auf mein Buch oder meine Tätigkeit als Autor. Vielleicht sollte mein nächstes Buch kein Roman, sondern ein Backbuch werden.
SC: Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Isabel Schiller & Mirco Drewes