
16.04.2014 || Stagecat: Seit deinem Debüt begleiten dich Chris Eckman als Produzent und Jesper Lehmkuhl, der auch als Gitarrist in deiner Band aktiv ist, als musikalischer und kompositorischer Konterpart. Wie kam es zur Bekanntschaft mit den beiden Musikern und welche Bedeutung haben Chris und Jesper für deine Musik?
Andrea Schoeder: Chris begleitet mich schon länger. Uns hat das Internet zusammengebracht. Mit meiner damaligen Münchner Band hatten wir einige Demo-Songs online gestellt und überlegten, ob wir ein Album aufnehmen sollten. Ich schwankte damals, ob es besser wäre ein Album zu produzieren oder eines live einzuspielen, um die Magie der Musik nicht zu verlieren. Zu viel Perfektion kann Musik in meinem Empfinden töten. Chris Eckman hat mich privat angeschrieben, er würde gern mit mir arbeiten und bot mir an zusammen ein Album zu produzieren.
MySpace war zu der Zeit eine sehr kreative Plattform, auf der man viel Rückmeldung von anderen Künstlern bekam und qualifizierte Unterhaltungen führen konnte. Für mich war das Netz sehr wichtig, denn hier konnte ich Songs einstellen und bekam ein direktes Feedback von Leuten, denen diese Musik wichtig war. Es gibt einem Kraft, diesen anstrengenden Weg weiterzugehen und man weiß, wofür man seine Opfer bringt.
Auch Jesper habe ich übers Netz gelernt. Er hatte ebenfalls Songs online, über die wir uns austauschten. Heute schreiben Jesper und ich die Songs zusammen und ergänzen uns hervorragend.
SC: Inzwischen bist auch privat mit Jesper Lehmkuhl liiert. Wie wirkt sich diese Konstellation auf die Zusammenarbeit aus?
AS: Das hat weder Aus- noch Nebenwirkungen. Unsere Zusammenarbeit hat gleichzeitig privat und geschäftlich begonnen. In der Arbeit geht es um die Musik, da geht es nicht um uns als Paar. Wenn wir mit der Band unterwegs sind, sind wir alle Freunde und quasi gleichberechtigt. Für das Klima in der Band wäre es nicht gut, wenn wir aufeinander hocken würden. Wir sitzen im Tourbus nicht einmal nebeneinander.
SC: Dein zweites Album Where the wild Oceans end bleibt der getragenen und melancholischen Stimmung von Blackbird treu. Insgesamt wirkt das neue Album weiter gereift und balladesker. Wie bewertest du Where the wild Oceans end im Vergleich zum Erstlingswerk?
AS: Ich denke, es ist eine Weiterentwicklung im Stil und in der Art, wie wir die Songs gemacht haben. Die einzelnen Songs sind schon für sich betrachtet besser geworden, unabhängig vom Arrangement. Es ist ein Bandalbum.
Bei Blackbird waren Chris und Milan Cimfe aus dem Studio in Prag und Gastmusiker beteiligt. Die Inspiration der Musiker war spontaner und ad hoc. Es war stärker produziert, die einzelnen Gitarrenspuren wurden nachher von Jesper eingespielt und drüber gelegt.
Das neue Album ist länger vorbereitet und organischer in der Band gewachsen. Wir haben es mit der Band eingespielt, vor den Aufnahmen die Songs geprobt und diese auf Tour erprobt. Der Sound hat sich durch die beteiligten Musiker entwickelt, die ihre kreative Energie eingebracht haben. Dies wirkt sich auf die Art aus, wie wir die Akkorde interpretieren oder wie wir die Melodien spielen wollen, es kommen viele Ebenen hinzu. Diesmal klingen wir als Band, die Basis ist live eingespielt. Einzig die Geige wurde aus technischen Gründen später hinzugefügt.
SC: Das neue Album wird von der Kritik begeistert aufgenommen und ist nun auch für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert. Hast du mit diesem Erfolg rechnen können?
AS: Nee, das kann wohl keiner. Wenn ich einen Artikel lese, bin ich manchmal persönlich gerührt, wie viele schöne Worte man über mich oder die Musik finden kann. Irgendwie ist das auch surreal.
SC: Für die Aufnahmen habt ihr euch in die Ocean Sound Studios in Norwegen zurückgezogen. Wie kam es zu dieser Entscheidung und in welcher Atmosphäre wurden die neuen Songs eingespielt?
AS: Die Entscheidung fiel, als Chris Eckman in Berlin war und wir das neue The Jeffrey Lee Pierce Sessions Project in den Hansastudios eingespielt haben. Wegen des Songs „Kisses for my President“ sind wir in die Hansastudios gegangen, wo wir auch „Helden“ und „Ghosts of Berlin“ aufnahmen. Wo wir den Rest des Albums einspielen wollten, war eine offene Frage. Wir hatten den Song mit dem Arbeitstitel „Where the wild Oceans end“ und Chris kündigte darauf anspielend an, er hätte das perfekte Studio für uns. Chris hatte einst mit den Walkabouts in Seattle mit Rick Vaughn gearbeitet, dem Studiodesigner. Rick hatte das Studio in Norwegen entworfen und Chris vor einiger Zeit vorgeschlagen, dort etwas zusammen zu machen. Diese Gelegenheit sah Chris jetzt gekommen. Er zeigte mir Fotos vom Studio und ich konnte nur sagen: Perfekt. Dies war das Studio zum Song. Zudem ließ sich das Projekt, auch dank der Förderung durch die Initiative Musik, finanziell realisieren.
Für die Arbeit am Album ist meiner Meinung nach sehr wichtig, dass man woanders ist. Anders war es bei „Helden“ und „Ghosts of Berlin“. Diese Songs konnten nur in Berlin aufgenommen werden, weil die Stadt in die Musik mit hinein musste. „Helden“ haben wir durch die gleichen Kabel und dasselbe Mischpult kommen lassen, mit dem David Bowie „Heroes“ aufgenommen hat. Er hat den Song angeblich sogar im Hansastudio geschrieben, die Technik ist ohnehin noch dieselbe. Es war uns wichtig, in den Spuren dieser Vergangenheit zu wandeln.
SC: Gemischt wurde in Ljubljana, das Master entstand in Prag. Wieviel Kosmopolitismus steckt in deiner Musik?
AS: Die Welt ist groß und ich bin ohnehin offen, auch durch meine Erfahrungen mit dem Netz. Diese Verbindungen haben sich einfach ergeben. Wir haben aber auch einen Berliner, Mike Straus, der uns auf der Tour begleitet, wenn er auch nicht auf dem Album dabei war. Ich finde es spannend, wenn man sich aus unterschiedlichen Ländern kulturell begegnet. Sei es musikalisch oder wenn ich im türkischen Kaffee nebenan sitze, diese Begegnungen machen die Welt bunt.
SC: Du tourst im April durch Deutschland. Eine handvoll Konzerte hast du in Polen und den Niederlanden gegeben. Wie ist die Rezeption deiner Musik im Ausland?
AS: Sehr gut. Ich hoffe, dass wir im Herbst eine Tour durchs Ausland machen können. Bisher hatten wir nur vereinzelte Konzerte. Unsere Facebook-Statistiken zeigen, dass wir mehr Besucher aus Griechenland haben, als aus Deutschland. Daher steht Athen ganz oben auf der Wunschliste. Italien wäre toll, Benelux, die Niederlande und Polen.
SC: Kehren wir zurück nach Berlin. Deine Singleauskopplung “The Ghosts of Berlin” imaginiert eine Stadt voller unabgeschlossener Geschichte, einen melancholischen Ort unerlöster Vergangenheit. Berlin scheint eine Art Spiegel für viele Künstler zu sein. Welches Berlin siehst du, wenn du in den Spiegel schaust? Was fasziniert dich an dieser Stadt?
AS: Mich fasziniert die Geschichte, die hier überall spürbar ist, und die Einfachheit und Echtheit des normalen Lebens. Berlin ist nicht sehr aufgesetzt, aber sehr künstlerisch. Künstler aus allen Bereichen kommen hierher, um sich zu verwirklichen. Ein jeder hat seine eigenen großen Luftschlösser oder Vorstellungen im Kopf, man spürt das im Stadtleben. Die Geschichte Berlins ist sehr stark gegenwärtig, in fast jeder Straße findet man Häuserlücken und kann sich fragen, was dort einst war. Man entkommt dem nicht.
SC: Du singst zumeist Englisch, doch gibst du auch einzelne Stücke auf Deutsch. Nach welchen Kriterien entscheidest du, in welcher Sprache du deine Texte schreibst?
AS: Das entscheiden die Texte selber. Die erste Zeile kommt entweder in Deutsch oder Englisch heraus und dann ist der Text, wie er ist.
SC: Auf deinem neuen Album findet sich eine Coverversion von David Bowie „Heroes“. Hattest du keine Angst einen solchen Klassiker zu covern und stand von Anfang fest, dass du die Lyrics ins Deutsche übertragen würdest?
AS: Das wissen vielleicht nicht alle, aber David Bowies „Heroes“ wurde in deutscher, englischer und französischer Version herausgegeben. Die Lyrics haben David Bowie und Brian Eno in alle drei Sprachen übertragen. Ich habe in Berlin von verschiedenen Seiten immer wieder Legenden gehört, dass jemand jemanden kennt, der angeblich an den Übersetzungen beteiligt war. David Bowie hat den Song auch auf Deutsch gesungen.
Als Lutz Mastmeyer von meinem Label Glitterhouse mit der Idee diesen Song zu machen zu mir kam, dachte ich zunächst, das geht nicht. „Heroes“ ist einer meiner Allzeitlieblingssongs, ganz großartig.
Doch über die deutsche Fassung kam ich ins Nachdenken. Ich wollte den Song schon sehr gern machen, ich habe mich anfangs nur nicht getraut. Bei der Beschäftigung mit dem Thema habe ich einen eigenen Zugang zu Song und Text, zu meiner persönlichen Interpretation gefunden. In dieser eigenen musikalischen Lesart und in der Art, wie ich als Muttersprachlerin die Worte neu auslegen kann, hielt ich es für machbar, dem Song eine andere Ebene zu verleihen. Die Aussage des Songs sind wir auf völlig andere Weise angegangen. An Bowies Lesart könnte man ohnehin niemals rankommen, man kann es nur anders machen.
SC: Nicht nur an diesem Song wird deutlich, dass deine Musik eine erhabene Stimmung der Vergänglichkeit atmet. Woher kommt deine Faszination für die Schattenseite der Dinge, für die Vergänglichkeit des Lebens?
AS: Die Faszination war schon immer da. Mich haben immer schon dunkle und melancholische Melodien berührt. Ich habe beispielsweise als ganz junges Kind einmal die Moldau von Smetana gehört und wurde von dieser Musik tief berührt und ins Herz getroffen. Lustige und fröhliche Musik mag ich auch, es ist nett, unterhaltsam, man kann gut tanzen und feiern, aber es berührt mich nicht wirklich im tiefsten Innern. Das passiert bei mir ausschließlich bei Gedichten oder Musik, die Seelenabgründe zum Thema haben, dasjenige, was hinter der Fassade ist.
SC: Deine Musik ist stilistisch sehr eigen und klingt nach Blues, Folk und Chanson. Entsprechend erinnerst du die Musikkritik an Marlene Dietrich, an die frühere Velvet Underground-Sängerin Nico, an Tom Waits oder Lou Reed. Was hältst du von solchen Vergleichen und welche Musik inspiriert dich?
AS: Vergleiche innerhalb dieser Namensnennungen sind toll und sehr ehrenhaft. Doch wenn man sich selbst mit diesen Künstlern vergleicht, denkt man, das stimmt auf eine bestimmte Art nicht, da komm ich nie ran. Es ist vielleicht nicht falsch, aber auch nicht richtig.
Ich denke, man braucht diese Vergleiche vor allem, um dem Leser eine Vorstellung von Musik zu geben, die er möglicherweise nicht kennt. Das sind Referenzgrößen, um sich einer Sache anzunähern, die man schlecht beschreiben kann.
Musikalische Vorbilder? Es gibt viele Musiker, die mich beeinflusst haben. Tom Waits habe ich eine ganze Weile gehört, auch die Go Betweens, The Smiths, Nick Cave, eine Zeitlang italienische Belcanto Opern. Auch Lou Reed, den ich erst durch Jesper näher kennen gelernt habe, finde ich klasse. The Walkabouts und Chris & Carla, besonders das “Life full of Holes”-Album, fand ich super. Dass Chris mit mir in Kontakt kam, fand ich natürlich großartig, umso mehr, dass er mein Produzent geworden ist.
Ich selbst habe Gospel gesungen, was mir einen neuen Zugang zu Songmelodien eröffnet hat. Ich glaube, was man am Ende tut, ist eine Mischung aus allem, was man in seinem Leben gehört hat.
Außerdem muss ich Brecht nennen. Die Dreigroschenoper, Brechts Theaterstücke und Gedichte sind großartig, auch Erich Fried. Literatur, Gedichte und Lesungen zu hören, hat mir viel gegeben. Die Art des Sprechens eines Gedichts, die persönliche Interpretation, empfinde ich bereits als Teil der Musik.
SC: In einem Interview hast du den Wunsch geäußert, mal ein Duett mit Iggy Pop zu singen. Ist die Tinte unter dem Vertrag bereits trocken?
AS: [lacht] Ich warte darauf, dass er mich fragt. Wie erwähnt ist bei dem Jeffrey Lee Pierce Project, das im Mai rauskommt, ein Song von Andrea Schroeder drauf. Und ein Duett von Iggy Pop und Nick Cave. So weit entfernt ist es also nicht. Es ist nur der falsche Name im Duett.
SC: Letzte Frage: Du bist mit Malerei und Literatur in Berührung gekommen und schreibst sehr poetische, expressionistische Texte. Welche Ausdrucksmöglichkeit findest du speziell in der Musik?
AS: Songs können Bilder in der Vorstellung hervorrufen. Literatur kann das auch, doch ist es dort meist konkreter. Musik berührt andere Ebenen. Mir scheint dort ein weiteres Feld zu liegen, es gibt mehr Dinge, die man ausdrücken kann und noch mehr Dinge, die man auslösen kann. Wie Musik uns und unsere Gefühle berührt, kann man nicht beschreiben. Dies geschieht bei jedem anders, was ich sehr spannend finde. Musik ist eine andere Sprache, eine andere Kommunikation.
Musik, Malerei und Literatur gehören für mich im Wesentlichen aber zusammen. Ein Song ist ein komponiertes Gemälde, dort trägt man hellere Farbe auf, hier bedient man sich der Violine. Doch in Musik kann man mehr eintauchen. Ein Bild schaut man an und stellt sich etwas vor. Aber wenn man eine Stereoanlage hat, kann man in dem Musikraum sein, ganz plastisch sieht man den Ort der Töne im Raum. Das ist faszinierend. Ich empfehle daher das bewusste Musikhören mit einer guten Stereo-Anlage.
Interview: Mirco Drewes
Foto: Dixie Schmiedle