
10.04.2014 || Stagecat: Du bist in der ostwestfestfälischen Provinz groß geworden und lebst im Berliner Stadtteil Wedding. Als ehemaliger Arbeiterstadtteil zählt der Wedding auch heute noch nicht zu den sogenannten hippen Stadtteilen. Lässt diese Wahlheimat den Rückschluss auf westfälische Bodenständigkeit zu? Oder: Was gefällt dir am rauen Berliner Norden?
Andrea Schroeder: Tatsächlich bin ich Arbeiterkind. Die Einfachheit des Lebens im Wedding ist mir nahe. Einfache Menschen, die sich durch ihr Leben kämpfen – hier ist jeder so, wie er ist. Keiner brezelt sich auf, keiner trägt etwas zur Schau oder möchte etwas darstellen, dass er nicht ist. Das ist ein Umfeld, das ich zum Leben durchaus schätze. Auch die multikulturelle Prägung gefällt mir sehr gut.
SC: Du bist vor zwei Jahren von Kopenhagen nach Berlin gezogen. Welche Erwartungen hast du mit dem Umzug verbunden?
AS: Meine erste Erwartung, welche sich auch bestätigt hat, war, dass ich in Berlin passende Musiker für die Band finden würde, die wir zusammenstellen wollten. Außerdem habe ich zurecht gehofft, mich von der Stadt inspirieren lassen zu können. Berlin ist sehr spannend und vielseitig. Hier leben sehr viele Menschen aus aller Herren Länder und gerade auch die Musikszene ist sehr international: Hier lassen sich Konzerte nahezu aller interessanten Künstler besuchen, jeder kommt nach Berlin.
SC: Deine Erwartungen an Berlin haben sich also erfüllt. Hast du hier eine dauerhafte Heimat gefunden?
AS: Ich fühle mich in Berlin wohl und kann mir gut vorstellen, hier zu bleiben. Doch man weiß nie, was passiert, die Welt ist schließlich groß. Seit ich in Berlin wohne, habe ich aber weniger von der Stadt gesehen, als es zuvor der Fall war, wenn ich als Besucherin herkam. Das tägliche Leben nimmt einen sehr in Beschlag und zwischendurch bin ich viel unterwegs oder gehe wie jetzt auf Tour. Insofern gibt es noch viel zu entdecken, ich bin quasi eine in Berlin lebende Touristin.
SC: Aus deiner Biografie lässt sich eine gewisse berufliche Sinnsuche herauslesen. Du hast, so ist zu lesen, aus Verlegenheit Grafikdesign gelernt und für die Musik- und Fernsehbranche gearbeitet. Anschließend bist du Model geworden. Wie kam es zu diesem Werdegang und welche Erfahrungen hast du später in der Model-Branche gemacht?
AS: Zu Schulzeiten war mir Literatur am Wichtigsten. Deutsch war, neben Kunst, mein Lieblingsfach. Ich habe viel gezeichnet und mich auch für Kunstgeschichte interessiert. Musik habe ich auch damals sehr geliebt, doch gab es kaum Musikunterricht und als Abiturfach konnte man Musik ohnehin nicht belegen. Ich hatte als Kind Klavier gelernt, habe auch Blockflöte gespielt und im Chor gesungen, doch in späteren Jahren habe ich mich in dem Feld nicht weiterentwickelt. Wahrscheinlich hätte ich privat Musikunterricht nehmen müssen, denn vermisst habe ich die Musik in meinem Leben schon.
Ich hatte also eine Vorliebe für Literatur, war sehr gut in Latein und konnte gut zeichnen. Alles Qualitäten, die die Welt nicht braucht. Folglich wusste ich nicht recht, was ich damit anfangen sollte. Eine Freundin, die Grafikdesign studierte, hat mich zu diesem Fach ermutigt und so habe ich mich schließlich beworben. Das Studium hat Spaß gemacht, dort konnte ich gestalten, was ich immer gerne gemacht habe. In diesem Bereich habe ich später auch gearbeitet. Ein befreundeter Fotograf hat irgendwann Fotos von mir gemacht, die wir einer Agentur zeigten, für die wir gearbeitet haben. Diese Agentur wollte gleich einen Vertrag mit mir machen und so bin ich zufällig in die Branche geraten.
Das war durchaus lukrativ, ich konnte gut davon leben und habe nichts Anderes gemacht.
SC: Deine persönlichen Schattenseiten des Geschäfts hast du schließlich in der Modestadt München kennen gelernt?
AS: Von Nordrhein-Westfalen bin ich nach München gegangen, weil dort alle Welt zusammenkommt, insbesondere die Verlagswelt. Dort hat es mir allerdings nicht sehr gut gefallen. In Nordrhein-Westfalen war die Arbeit interessanter und der Umgang mit den Fotografen wesentlich persönlicher. In München habe ich fast die komplette Zeit mit unzähligen anderen Modells auf Castings und mit Warten auf die drei Minuten verbracht, in denen man sich deine Mappe anschaut. Das war sehr langweilig und mir wurde bald klar, das ist Lebenszeitverschwendung.
Die große, weite Modellwelt habe ich als sehr unpersönlich erlebt. Das Hirn fordert die Arbeit fordert auch nicht wirklich. Der Job ist nicht einfach und man muss sehr professionell sein. Doch was das Modell denkt, interessiert zumeist keinen.
Gelernt habe ich in dieser Zeit dennoch viel. Ich bin eher zurückhaltend und musste lernen, damit umzugehen, von vielen Menschen angeschaut zu werden. Allein dadurch, dass man ständig fotografiert wird oder läuft, lernt man in sich zu ruhen, auch wenn man im Mittelpunkt steht.
SC: Nebenher hast du immer nach einem künstlerischen Ausdruck im geschriebenen Wort und in der Musik gesucht. Erst nach einer bedrohlichen Erkrankung an den Stimmbändern hast du mit der Musik ernst gemacht und eine professionelle Gesangausbildung absolviert. Warum ist dir erst vergleichsweise spät klar geworden, was du als deine Berufung erkennst?
AS: Als Kind wollte ich immer Sängerin werden. Wenn ich allein war habe ich Musik gehört oder in unserem gekachelten Flur, der eine tolle Akustik hatte, für mich gesungen. Ich habe auch in Chören gesungen, bis irgendwann die Jungs wichtiger wurden.
Mit Anfang Zwanzig habe ich mit Roland Voss, ehemals Lemongrass, einige Songs gemacht und im Studio aufgenommen. Aus meinen privat geschriebenen Gedichten und Kurzgeschichten haben wir die ersten Songtexte auf Englisch entwickelt. Das Schreiben hat mir schon immer Spaß gemacht, doch war ich damals nicht richtig auf das Musikmachen vorbereitet. Ich hatte meine Texte und wir haben spontan damit gearbeitet, doch zuhause habe ich nicht an mir und der Art, wie ich singe, weitergefeilt. Irgendwann haben wir es dann aus den Augen verloren. Ich war damals mit Grafikdesign oder Modeln ausgelastet. Gesungen habe ich nur für mich, unter der Dusche, in der Badewanne oder im Auto.
Mit Anfang Dreißig hatte ich mein Schlüsselerlebnis: Nach einer Operation habe ich drei Monate meine Stimme verloren. Ein Stimmband war komplett gelähmt. Ich konnte nur flüstern, an Singen war nicht zu denken und niemand konnte sagen, wie sich der Heilungsverlauf entwickeln und ob die Stimme zurückkommen würde. Es wurde zwar vermutet, dass das Stimmband nicht durchtrennt worden war, doch eine Prognose konnte niemand abgeben. Nach drei Monaten kam die Stimme plötzlich wieder. Vermutlich handelte es sich um eine Schwellung, die auf einen Nerv drückte. Ich spürte, dass es nicht schlimm war, dass ich nicht normal sprechen konnte, als sehr schlimm empfand ich jedoch, dass ich nicht singen konnte. Da wurde mir klar, was wirklich wichtig ist.
SC: Nach dieser einschneidenden Erfahrung hast du mit der Musik ernst gemacht. Wie bist du dorthin gekommen, wo du jetzt stehst?
AS: Ich bin zuvor durchs Leben getrudelt, habe gearbeitet und die Jahre sind schnell vergangen. Diese Erfahrung war der Auslöser, mich der Musik ernsthaft zu widmen. Ich habe privat klassischen Gesangsunterricht genommen, hart an mir gearbeitet und jeden Morgen vor dem Job trainiert. Im klassischen Gesang habe ich gelernt, in den einzelnen komponierten Tönen exakt zu sein und die perfekte Stimme zu halten. Das ist mit großer Akribie verbunden, man traut sich zwischendurch kaum noch einfach so zu singen.
Einige Jahre später bin ich über Freunde zum Gospel gekommen und habe bei den Munich Gospel Singers im Chor gesungen. Dort hat mich Anke Maria Caspari, eine tolle Gospelsängerin, unterrichtet, die mir erklärt hat, dass ich beim Singen gerade 20% meines Stimmvolumens ausschöpfe. Ich war zwar in der Höhe trainiert, aber Anke stieß mich darauf herauszufinden, wie viel Volumen noch ungenutzt blieb. Sie hatte Gehör für das stimmliche Potential und gab mir Mittel an die Hand, dieses zu erschließen. Über das Gospel habe ich gelernt die eigene Stimme in ihrer rohen Kraft zuzulassen, große Kirchen ohne Verstärkung zu beschallen. Das nützt mir heute noch, wenn ich mich auch technisch vom Schmettern des Gospel entfernt habe.
Der Prozess ist nicht abgeschlossen, meine Gesangstechnik entwickelt sich weiter.
SC: Für dein 2012er Debütalbum Blackbird hast du auf Anhieb hervorragende Kritiken bekommen. Wie hast du die Arbeit an deinem ersten Album erlebt und mit welchen Gefühlen hast du der Release entgegengesehen?
AS: Es war sehr spannend und toll, dass Album aufzunehmen. Ich war unglaublich glücklich, als wir in Prag daran arbeiteten. Ich erinnere einen Moment, als ich aus dem Studio trat, in die Sonne geschaut habe und dachte: „Wie schön ist das Leben“.
Die Arbeit mit Chris Eckman war eine tolle Zeit. Auf positive Kritiken habe ich gehofft, doch dass sie derart toll ausfielen, war überwältigend. Ich lese alles, was über mich geschrieben wird. Hinterher kam sogar ein wenig Angst auf, ob ich diesen Vorschusslorbeeren in Zukunft würde gerecht werden können.
Interview: Mirco Drewes
Foto: Dixie Schmiedle