
15.02.2022 || StageCat: Zu Beginn möchten wir dich ein wenig besser kennenlernen. Wie bist du zum Musikmachen gekommen?
Sarah Lesch: Ich bin für „normale“ Verhältnisse recht spät zum Musikmachen gekommen. Als ich mit 17 schwanger wurde habe ich mit dem Tanzen aufgehört und angefangen mit selbst das Gitarrespielen beizubringen. Eigentlich nur, weil ich selbstständig meine Texte vorsingen und nicht immer auf andere Musiker*innen angewiesen sein wollte. Gesungen hab ich schon immer gern, zumindest heimlich oder unter der Dusche.
SC: Beschreibe deinen Sound in drei Worten.
SL: Intensiv, berührend, handgemacht.
SC: Welches ist der erste Sarah-Lesch-Song, den man hören sollte, und warum?
SL: Puh, das ist eine ganz schön schwierige Frage – da ja jeder Mensch ja einen anderen Geschmack hat, in unterschiedlichen Lebenswelten und Situationen ist, aus den mannigfaltigsten Gründen Interesse an meiner Musik zeigt. Aber wenn es nach mir ginge würde ich sagen, den längsten: Eine Geschichte vom Pferd. Mit Augen zu.
SC: Dein neues Album trägt den Titel „Triggerwarnung“ – das allein ist schon ein starkes Statement. Wie bist du zu der Entscheidung gekommen, ein so politisches Album zu machen?
SL: Hm, das war nicht wirklich ein bewusster Prozess so ala „Ich mache das jetzt, ich möchte dies und das sagen!“ sondern das hat sich eher während des Lockdowns herauskristallisiert, als ich nach Jahren des Tourens ganz viel Zeit und Ruhe hatte, sich Gedanken und Gefühle in mir setzen konnten, dass ich merkte : Hoppla, da autscht es ganz schön in mir, ich hab was zu sagen! Ich möchte sprechen über Dinge, die mir widerfahren sind, anderen Mut machen, meine Stimme nutzen um für Wandel einzustehen. Diese Gedanken kamen aber erst als auch viele Songs schon am Entstehen waren, es gibt ja da auch durchaus weniger politische Songs wie z.B. „Ich trag' Dich nach Haus“. Insgesamt also eher ein politisch/privates Album.
SC: Welche Rolle hat deine eigene Wut für deinen Schaffensprozess gespielt?
SL: Eine sehr große! Wut war schon ein großer Antrieb, aber vor allem gleichzeitig auch die Liebe. Die, an die ich mich erinnert habe, die mir in meinen dunkelsten Momenten geschenkt wurde, als ich nicht mehr weiter wusste. Wenn es gelingt die Wut als Triebfeder und Liebe als Treibstoff zu nehmen, dann entsteht meist etwas ganz Besonderes.
SC: Du trittst auch in politischen Kontexten auf, so z.B. 2019 bei „Fridays for Future“. Welchen Stellenwert hat Aktivismus in deinem Leben?
SL: Sich aktiv für Wandel einzusetzen, sich politisch zu äußern ist für mich nichts Neues. Das habe ich ja auch schon in meinen alten Songs besungen. Ich finde es wichtig, dass wir da miteinander im Gespräch bleiben, einander zuhören aber auch die Grenze zieht, dort wo es gewaltvoll oder grenzüberschreitend wird, dort wo die Zeiger auf 5 nach 12 stehen. Das ist ja besonders bei FFF so, dieses Jahr war ich wieder eingeladen und habe mich sehr darüber gefreut, dass die jungen Menschen mich als Gästin dabei haben wollten. Für meinen Sohn aber auch die vielen, anderen jungen Aktivist:innen, die jetzt um ihre Zukunft kämpfen ist es mir wichtig mich zu zeigen und meine Lieder zu singen damit sie wissen: Ich bin nicht allein und muss mich nicht klein halten lassen.
SC: Was steht bei einem Song für dich am Anfang – Text, Melodie oder die Aussage?
SL: Zunächst immer der Text. Ich schreibe meistens meine Gedanken in mein schwarzes Notizbuch, danach kommt die Melodie und die Aussage entsteht ja dann in Verbindung der beiden. Das ist immer ganz spannend, weil ich manchmal noch gar nicht so klar habe was die Aussage ist und lass mich da auch gern selbst überraschen.
SC: Du hast einen deiner neuen Songs Marsha P. Johnson gewidmet. Wie bist du auf ihre Geschichte aufmerksam geworden und was bedeutet sie für dich?
SL: Auf die Geschichte von Marsha bin ich durch Gespräche mit einer befreundeten Person gekommen, die mir von ihr erzählt hat. Wir haben dann gemeinsam die Dokumentation über Marshas Leben und Wirken angesehen und ich war sehr tief berührt von ihrem Wesen, wie viele Menschen sie inspiriert und unterstützt hat, was für eine Mutter und Freundin sie für eine ganze Community war. Sie war viel Gewalt ausgesetzt und hat trotzdem nie aufgegeben für die Rechte der LGBTQIA* Gemeinschaft zu kämpfen, hat sich nicht einschüchtern lassen und ihre Lebensfreude und Würde gewahrt. Ausserdem hatte sie eine wunderbare „Pfeif drauf!“ Einstellung, die ich in dieser Zeit sehr gut gebrauchen konnte. Es ist tief berührend zu sehen, wie Menschen vor uns vorangegangen sind, den Weg geebnet haben. Auch Marshas Tod erzählt viel über die Gesellschaft in der wir heute noch immer leben. Sie wurde tot im Hudson River gefunden, ein höchstwahrscheinlicher Mordfall, der aber nie aufgeklärt wurde. Weil sie Schwarz, trans, queer und Sexarbeiterin war. Weil sie in den Augen des (vornehmlich weißen, cis-männlichen) Machtapparates nicht von Interesse war.
Bis heute kämpfen Freund:innen von ihr um eine Aufklärung. Vergebens. Nicht nur deshalb, aber auch aufgrund dieser Lage ist es für mich ein Privileg und Geschenk ihre Geschichte erzählen zu dürfen, zu wollen.
SC: Welchen Stellenwert haben Live-Gigs für dich?
SL: Hach, ich vermisse die Bühne sehr! In meiner Zeit, in der ich viel unterwegs war hätte ich mir gar nicht vorstellen können, dass es mir mal so ergeht, haha. Aber jetzt – mit all der Zeit, den Lockdowns usw. merke ich wie mir die Atmosphäre, der Austausch mit den Fans fehlt. Ich hoffe sehr, dass wir kommendes Jahr wieder möglichst viel live spielen können. Viele Leute haben noch immer ihre gekauften Konzertkarten am Kühlschrank hängen und fiebern darauf hin. Es wäre so toll, wenn das endlich klappt!
SC: Und wie hat die jetzige Situation deine Musik beeinflusst?
SL: Das war gar nicht möglich, dass die Situation meine Musik NICHT beeinflusst. Zu allererst war das natürlich vor allem finanziell für mich eine schwierige Zeit, in der ich aber auch Glück hatte und weiter irgendwie Musik machen konnte, sei es jetzt mit der Produktion des Albums oder auch bei den Onlinekonzerten bei denen mein Team und ich viel Zuspruch erfahren haben. Im Lockdown letztes Jahr entstand ja aus all diesen Beobachtungen und Gefühlen der Song „Licht“. Ich bin ganz entzückt und berührt davon, dass vor allem viele Kinder sich den bei unseren Livekonzerten im Sommer gewünscht haben. Das zeigt, wieviel Kraft und Trost in der Musik steckt.
SC: Was machst du, wenn du nicht musikalisch unterwegs bist?
SL: Ich arbeite natürlich immer in irgendeiner Form, sei es jetzt in punkto Öffentlichkeitsarbeit (Interviews, Social Media) oder Vorbereitung für nächstes Jahr.
Aber wenn gerade mal Zeit ist mache ich gerne entspannte Sachen, wie Freund:innen auf ein Glas Wein treffen, Kunst und Kultur genießen soweit möglich oder auch in der Natur sein. In Leipzig kann Mensch wunderbar spazieren gehen, das nutze ich gerne.
SC: Welches Projekt würdest du noch unbedingt realisieren?
SL: Ich glaube, ich würde sehr gerne noch einmal in irgendeiner Form am Theater ein Projekt realisieren oder ein Buch schreiben. Das reizt mich sehr. Konkrete Pläne gibt es dazu noch nicht, mal sehen.
SC: Was macht denn deine jetzige Tourplanung?
SL: Die ist natürlich in vollem Gange, vor allem weil nächstes Jahr noch einige Nachholtermine dran sind. Wir sind so gefühlt überall mal und hoffentlich auch in der Stadt all derer, die das jetzt hier lesen.
SC: Wo siehst du dich in 10 Jahren?
SL: Hui, das ist eine spannende Frage! Hoffentlich glücklich zwischen gackernden Hühnern auf dem Land wohnend, schreibend. Das ist schonmal ein guter Anfang. Von allem anderen lass ich mich gern überraschen, Pläne machen bringt ja eh nur die Götter zum Lachen, haha.
Foto: Christin Goy