
22.07.2013 || StageCat: Steckte schon immer eine kleine Schauspielerin in Ihnen und wann kam der Entschluss hauptberuflich Schauspielerin zu werden?
Gizem Mut: Es hat mich schon immer zur Darstellenden Kunst gezogen. Als Kind habe ich mich zusammen mit meinen Geschwistern verkleidet, um unseren Eltern und Verwandten mit selbstinszenierten Theaterszenen zu unterhalten. Weil ich aber gleichzeitig als Kind bis hin zu meiner Jugend sehr schüchtern war hatte ich Angst davor, meine Welt mit einem größeren und unbekannten Publikum zu teilen. Nach dem Abitur konnte ich mich dann zwischen der Schauspielerei oder der Wirtschaft nicht entscheiden. Trotz der Einladung zur Schauspielschule seitens meines damaligen Lehrers Valentin Platareanu (Vater von Schauspielerin Alexandra Maria Lara), entschied ich mich für den „sichereren“ Weg der Wirtschaft. Nach dem Studienabschluss ging ich für ein Praktikum für ein Jahr nach New York. Dort entdeckte ich mich selbst und meine Leidenschaft für das Schauspiel wieder. Ich fand in der Wirtschaft nicht die tiefe Erfüllung und fühlte mich nun auch innerlich bereit dem Schauspiel endlich eine Chance zu geben. Das sind nun 4 Jahre her…
SC: Haben Sie es bereut den unsicheren Weg der Schauspielerei gegangen zu sein und sich gegen die Karriere in der Wirtschaft entschieden zu haben?
GM: Ich habe bis heute, meinen Entschluss die Schauspielerei zu verfolgen, nicht bereut. In den letzten 4 Jahren habe ich mehr über mich gelernt und entdeckt als jemals zuvor. Ich nutze die Möglichkeit nicht an einen Arbeitsplatz gebunden zu sein und lebe nach Herzenswunsch wo und wie ich will. Ich fühle mich frei. Sicherlich habe ich auch Tage an denen mich finanzielle Unsicherheit, Absagen und die nicht mögliche Zukunftsplanung an mir nagen. Ich war mir allerdings vor meiner Entscheidung über diese Faktoren bewusst. Meine Priorität liegt im Moment in der Selbstverwirklichung und das tieferfüllende Gefühl dabei überwiegt meine Ängste und Unsicherheiten um ein Vielfaches.
SC: Gibt es einen Plan B, falls es mit der Schauspielerei nichts wird?
GM: Ich glaube nicht an Plan B bei einer derart wichtigen Entscheidung. Schauspielerei braucht eine hundertprozentige Widmung. Ich kann meine Energie nicht noch anderweitig zerstreuen. Interessen und Neugier für das Schreiben und für die Arbeit hinter der Kamera kommen auf. Aber ich bin noch lange nicht an dem Punkt, wo ich eine Alternative für das Schauspiel in Betracht ziehe und fokussiere mich voll und ganz darauf.
SC: Sie sind jahrelang durch die Welt gereist und haben aus dem Koffer gelebt, unter anderem in New York und L.A. Wie gehen Sie damit um keinen festen Lebensmittelpunkt zu haben? Was sagen Freunde und Familie?
GM: Ich gehe sehr gut damit um! Ich habe es mir ja selbst ausgesucht. Es ist für mich ein fantastisches Gefühl der Freiheit, des Experimentierens, Entdeckens und des Abenteuers. Los Angeles, New York und Berlin sind aufregende Städte mit den besten Schauspiellehrern und hervorragenden Filmlandschaften. Das nutze ich gerne. Natürlich vermisse ich meine Familie und meine Freunde, aber erstens leben einige meiner Freunde selbst nicht mehr in Berlin und zweitens erleichtern Skype und Co. die Kommunikation um Einiges. Gleichzeitig versuche ich stets einige Monate im Jahr in Berlin zu verbringen.
SC: In welchen Projekten kann man Sie derzeit sehen?
GM: In dem vor kurzem veröffentlichten Kurzfilm „What Jennifer taught me“ unter der Regie von Tim Gregory sieht man mich in der Hauptrolle. Im aktuellen TV-Spot von Ay Yildiz, der Tochterfirma von E-plus, spiele ich eine türkische Braut. Weiterhin verkörpere ich die Rolle der „Leyla“ in dem Kurzfilm „Ali Smiling“ von Assal Ghawami, welches sich in der Festivalrunde befindet. In der aktuellen Web-Serie von Zachary Kerschberg „Double Crossed“ habe ich einen Gastauftritt. Im Spätsommer dieses Jahres kann man mich an der Seite von Cemo Cetin als Melissa in dem Film „Nowhere to Disappear“ sehen.
SC: Welche Rolle hätten Sie gerne gespielt oder was wäre Ihre Traumrolle?
GM: Es gibt für mich nicht die eine Traumrolle. Mein größter Wunsch ist, die Möglichkeiten zu haben viele verschiedene Rollen zu spielen, v.a. auch starke Frauenrollen, die genauso komplex und filmtragend sind wie männliche Hauptrollen.
SC: Ihr favorisierter männlicher Co-Darsteller?
GM: Es gibt so viele Schauspieler, mit denen ich gerne spielen würde. Im Moment habe ich eine starke Faszination für Javier Bardem. Seine emotionale Tiefe und Vielschichtigkeit und seine Verletzlichkeit hinter der harten Fassade, die er wunderbar zum Ausdruck bringt, faszinieren mich.
SC: Haben Sie einen Tipp für angehende Schauspieler? Wie wichtig ist eine Schauspielausbildung Ihrer Meinung nach?
GM: Im deutschen Filmmarkt ist eine solide Schauspielausbildung an einer Schule oder Universität eine wichtige Voraussetzung, v.a. wenn man im Theater arbeiten möchte. Die USA sind in der Hinsicht liberaler. Es gibt viele sogenannte acting studios, in denen man frei Unterricht nehmen kann. Man braucht keinen Abschluss, um von einer Schauspielagentur vertreten zu sein. Wichtiger als der Abschluss an einer renommierten Schule ist Talent. Deutschland ist in der Hinsicht konservativer. Ich persönlich habe mich für den privaten Unterricht entschieden. Es gibt so viele verschiedene Schauspielmethoden und -lehrer, dass ich die für mich richtige entdecken wollte. Gleichzeitig wollte ich meiner Reiselust nachgehen und in verschiedenen Ländern und Städten die Filmlandschaften erkunden. Egal für welchen Weg man sich entscheidet, Schauspieltraining ist wichtig. Hier kann man sich ausprobieren, neu entdecken, seine Grenzen erweitern ohne unter Leistungsdruck wie während eines richtigen Filmdrehs zu stehen. Viele aus der Filmindustrie erachten das regelmäßige Schauspieltraining auch als Indikator dafür, dass man es mit dem Beruf ernst meint. Ich nehme seit 4 Jahren Unterricht und entdecke immer wieder neue Möglichkeiten zu wachsen.
SC: Wie gehen Sie mit Absagen um, und wie schafft man es sich immer wieder neu zu motivieren?
GM: Mit dem Thema Absagen, wurde ich gleich am Anfang meiner Schauspielkarriere konfrontiert: Mein allererstes Casting war für eine Hauptrolle in einer internationalen Kinofilmproduktion unter der Regie von Jean Jacques Annaud (7 Jahre in Tibet, Der Name der Rose). Nach dem Casting hatte ich ein gutes Gefühl. Die darauffolgenden Wochen habe ich in einer Gefühlsachterbahn zwischen Hoffnung und Angst, Glück und Unglück verbracht. Immerhin sah ich die Rolle als die große Chance meines Lebens. Ich erhielt eine Absage, und fiel aus allen Wolken. Ich zweifelte zeitweise an meinem Talent und an mir selbst. Im Nachhinein fand ich heraus, dass die Rolle Freida Pinto erhielt, die damals mit dem Filmhit Slumdog Millionaire ihren großen Durchbruch hatte. Inzwischen habe ich gelernt, nach Absagen nicht an mir oder meinem Talent zu zweifeln. Das klappt manchmal besser manchmal weniger. Aber auch das ist in Ordnung. Es ist ein Lernprozess. Die Besetzung von Rollen wird von so vielen verschiedenen Faktoren gelenkt, die nicht in meiner Macht sind. Das einzige, dass man als Schauspieler machen kann ist, sein Bestes zu geben und den Rest dem Schicksal zu überlassen. Manche sagen sogar, dass der eigentliche Beruf eines Schauspielers ist, auf Castings zu gehen. Das Spielen in einem Film ist der Bonus, das Sahnehäubchen.
SC: Was verbinden Sie als gebürtige Berlinerin mit Berlin? Und was mit Ihrem derzeitigen Wohnort New York und die alles entscheidende Frage: Berlin oder New York?
GM: Mit Berlin verbinde ich Heimat, Familie, Freunde und viele, viele Erinnerungen. Berlin ist für mich fast wie ein Familienmitglied, das bodenständig ist, einfach immer für mich da ist und meinen Rücken stärkt. New York hat eine gewisse Energie, die mich als Künstlerin stark inspiriert und mir die Möglichkeiten gibt, mich neu zu entdecken und zu entfalten. Beide Städte haben einen besonderen Platz in meinem Herzen. Deshalb möchte ich beide nicht missen.
SC: Welchen Ausgleich haben Sie zur Schauspielerei, womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit?
GM: Ich interessiere mich sehr für das Thema Spiritualität und lese gerne entsprechende Bücher. Yoga und Tanzen helfen mir dabei meinen Kopf auszuschalten und meinem Bewegungsdrang nachzugehen. Ich versuche viel Zeit in der Natur zu verbringen, um neue Energien zu tanken. Ich koche auch sehr gerne für Freunde und Familie.
SC: Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?
GM: Mein Wunsch ist es in 10 Jahren auf eine Schauspielkarriere blicken zu können, in der ich finanziell unabhängig bin, mir Filmprojekte frei aussuchen kann und aufregende Rollen in großartigen Filmen spiele.
Interview: Darja Schmidt
Foto: Güzin Mut