
20.06.2014 || Ralf König gehört zu den erfolgreichsten Comic-Zeichnern in Deutschland und gilt als der weltweit populärste Autor explizit schwuler Geschichten. Seine Comics wurden in 15 Sprachen übersetzt. Am 20. Juni wird König mit dem Max und Moritz-Preis für sein Lebenswerk geehrt.
Stagecat: Herr König, am 20. Juni werden Sie in Erlangen im Rahmen des Internationalen Comic-Salons mit dem Max und Moritz-Sonderpreis für das Lebenswerk ausgezeichnet. Wie fühlt es sich an, als munter arbeitender und am Anfang des sechsten Lebensjahrzehnts stehender Künstler auf ein ausgezeichnetes Œuvre zurückblicken zu können?
Ralf König: Als der Anruf kam, sagte ich spontan, das kann nicht euer Ernst sein. Ich dachte, die hatten keine älteren Kandidaten mehr zur Verfügung, Tardi, Mattotti, Brecca, die waren ja alle schon auf der Erlanger Bühne, also nehmen wir mal unseren König. Aber mir wurde versichert, dass die Jury einstimmig der Ansicht war, dass ein Lebenswerk ja nicht erst geehrt werden muss, wenn der Geehrte kaum noch den Griffel halten kann. Und dass ich viele Leser zum Comic gebracht hätte, die sonst mit dem Medium wenig Berührung haben, na ja und das schwule Ding halt. Also, ich fühle mich gesalbt, klar.
SC: Parallel zu Ihrem Coming-out haben Sie Ende der siebziger Jahre mit der Publikation politisch engagierter Comics begonnen. Wie haben Sie Ihr Coming-out erlebt und wie war es zu jener Zeit um die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Homosexualität bestellt?
RK: Also ‚politisch engagiert’, so sieht es erst im Nachhinein aus. Ich wollte Comics zeichnen, weil ich damals sehr von den Underground-Comix angefixt war, Robert Crumb mit seinem ‚Fritz the Cat’, Gilbert Sheltons ‚Freak Brothers’ und so. Das war Sex & Drugs & Rock’n’Roll und es gab hierzulande nur Micky Maus und Asterix. Ich saß also schon als Teenager auf dem katholischen Dorf in Westfalen und wollte saftige Comics für Erwachsene runterkritzeln, und weil ich schwul bin, waren das halt schwule Comics. Damit hab ich erst meine Freunde und dann die damals überschaubare Szene bespaßt, irgendwen über Homosexualität aufzuklären war nicht mein Ziel. Aber dann wurde die linke Studentenszene aufmerksam, die haben auf dem WG-Klo politisch korrekt über Schwule kichern können, das war wohl in Zeiten doofer Detlev-Witze befreiend. Und so kam eins zum anderen. Ich hätte nie gedacht, dass das mal solche Wellen schlägt oder dass ich über Jahrzehnte Tabus breche. Wäre ich Hetero, hätte ich Comics über Männchen und Weibchen gezeichnet, nur hätte da keiner gesagt, ich sei der ‚heterosexuelle Comiczeichner’.
SC: 1973 kam es in der HAW, der homosexuellen Aktion West-Berlin, zum sogenannten „Tuntenstreit“. Der Streit führte zur Bildung zweier politischer Lager innerhalb der Emanzipationsbewegung: Der orthodoxe Flügel sah die Angelegenheit der Homosexuellen Bewegung als Teil des Klassenkampfes, der feministische Flügel setzte sich eher für eine Dekonstruktion der Geschlechterrollen ein. Sie haben häufig gegen das tuntige Schwulenbild in der Öffentlichkeit polemisiert, mit der Reihe 'Bodo und Heinz', die für die Zeitschrift Arbeit und Sicherheit im deutschen Bergbau entstand, aber auch im gewerkschaftlichen Umfeld publiziert. Wo sehen Sie Ihre Position politisch innerhalb der Schwulenbewegung verortet?
RK: Also, ‚Bodo und Heinz’, das war nur ein Auftragsserie zum Geld verdienen, das hatte mit ‚schwul’ nichts zu tun. Ok, dass die Ehefrauen der beiden Bergmänner ungewöhnlich behaarte Beine hatten, haben die in der Redaktion nicht bemerkt. Aber ich hab früh in linkspolitischen Schwulenheftchen wie ‚Rosa Flieder’ veröffentlicht, die einfach alles auf grauem Umweltschutzpapier druckten, Hauptsache, es passte zum Thema. Und die frühen Sachen waren noch sehr schlecht, damit käme man heute nicht mehr durch. Es war das Richtige zur richtigen Zeit. Ich seh mich natürlich eher im linken Spektrum, aber im Grunde bin ich politisch desorientiert. Ich war über Jahrzehnte grün drauf, aber die Partei ist mir mittlerweile zu bieder und die Piraten zu chaotisch.
SC: In den Achtziger Jahren fand eine verstärkte Institutionalisierung Homosexueller Interessenverbände statt. 1987 haben Sie mit 'Kondom des Grauens' den ersten großen Erfolg bei einem Publikumsverlag feiern können. Was hat sich in den Achtziger Jahren für Ihre Arbeit als Künstler verändert?
RK: Ich würde sagen, 1987 war’s eher ‚Der bewegte Mann’, der reinknallte. ‚Kondom des Grauens’ vom gleichen Jahr war auch sehr erfolgreich, aber doch eher Underground und es ging dabei nicht primär um Schwules. Was sich verändert hat: Ich habe ein größeres Publikum, sicher zur Hälfte Heteros, ganz viele Frauen, und das im In- und Ausland. In Spanien läufts gut und in Frankreich, sogar im katholischen Italien gibt es meine Bücher. Das ‚Thema’ Schwul ist nicht mehr so ausschlaggebend, den Leuten gefällt eher der Dialogwitz und die Zeichnungen. Und ich bin einer der Letzten, der noch mit Leidenschaft Schweinkram zeichnet. Auch die Comicszene ist recht brav geworden.
SC: Inzwischen glänzen Sie auch in der Langdisziplin und haben den Comic-Roman oder die Graphic Novel neben der Kurzgeschichte zu einer Paradedisziplin ausgebaut. In diesem Format haben Sie sich satirisch Klassikern von Aristophanes und Shakespeare angenommen. Was hat Sie bewogen, sich diesen auf den ersten Blick weniger humorvollen Sujets zuzuwenden?
RK: Ich weiß nicht, ich suche mir gern Themen, die sich für Humor erst mal nicht zu eignen scheinen: Homoehe, HIV, Älterwerden, Shakespeare, der Apostel Paulus, das lacht einen ja erst mal nicht an. Aber Tragikomik ist die beste Komik, finde ich.
SC: Ihr bislang umfangreichstes Werk, 'Dschinn Dschinn', widmet sich radikaler islamistischer Sexualmoral. 2006 erhielten Sie den Max und Moritz-Sonderpreis für Ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Karikaturenstreit, der um Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten entbrannte. Wo sehen Sie Grenzen der Kunst – wo endet die moralische Deutungshoheit der Religion?
RK: Was für eine moralische Deutungshoheit? Sehe ich weit und breit nicht. Ein Gefühl für Ethik und Anstand hat erst mal nichts mit diesem oder jenem Gott zu tun, das ist evolutionär im Menschen verwurzelt. Auch Ungläubige haben Ethik und Moral, und oft sogar mehr als verbissen Religiöse. Grenzen der Kunst würde ich in Hasspropaganda sehen, in Abgrenzung und Verdummung.
SC: Sie gelten als Kritiker der Sexualmoral auch der katholischen Kirche. Unter dem neuen Papst Franziskus scheint Tauwetter einzukehren. Vor kurzem hat Franziskus verlauten lassen, er verurteile Homosexuelle nicht, sondern fordere die Gläubigen auf, diese mit „Barmherzigkeit zu begleiten“. Sehen Sie darin einen Fortschritt oder erscheint Ihnen dies bloß als eine positiv verklärte Art der Diskriminierung?
RK: Das ist nur das, was im Katholischen Sexualkatechismus für jedermann nachzulesen ist: Homosexualität ist eine schwere Sünde und nur der Homosexuelle, der auf seine Sexualität verzichtet und lieber betet, hat Chancen aufs Himmelreich. Aber natürlich: Man soll Schwulen mit Achtung und Mitleid begegnen. Allein ‚Mitleid’ von Katholiken, da krieg ich Pickel! Nein, es heißt im Alten Testament ‚Verdammnis’, im Neuen ‚Verderbnis’. Es steht in der Bibel, also bin ich mit dem Begriff ‚Tauwetter’ vorsichtig.
SC: Anfang diesen Jahres hat sich mit dem früheren Nationalspieler Thomas Hitzlsperger erstmals ein populärer Fußballer geoutet. Wie bewerten Sie diesen Schritt und die medialen Reaktionen im Hinblick auf die Entwicklung gesellschaftlicher Akzeptanz der sexuellen Orientierungen?
RK: Selbst ich Kind der 70er dachte jahrzehntelang, Fußball sei eine heterosexuelle Unsitte! Wirklich, mich nervt das Gegröhle und Gehupe in der Innenstadt, aber ich bin froh, dass selbst ich durch Hitzlsperger eines Besseren belehrt wurde. Leute, begreift, dass Homosexualität etwas von der Natur mitgegebenes und ganz profanes ist, das ist weder exotisch noch für irgendwen gefährlich. Es gab und gibt immer und überall einen nicht so kleinen Prozentsatz gleichgeschlechtlich liebender Menschen, so ist das nun mal und es tut keinem weh.
SC: Ihre Kunst hat immer provoziert. Besonders das bayerische Landesjugendamt hat in den Neunziger Jahren mit großem Aufwand gegen eine Verbreitung Ihrer Werke gekämpft, es kam sogar zu großflächigen Beschlagnahmungen in Buchhandlungen. Zuletzt hat sich 2009 der evangelikale Medienverband KEP lautstark über Ihre Arbeit mokiert. Worin besteht der Kernvorwurf, der von konservativer Seite gegen Ihre Arbeit erhoben wird und als wie subversiv begreifen Sie Ihre Arbeit eigentlich selbst?
RK: Damals waren meine Bücher für die Bayern ‚sozialethisch desorientierend’. Aber die Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat dann im Gegenteil befunden, das richte sich an Erwachsene, Kinder würden das gar nicht verstehen und es sei zwar drastisch in Wort und Bild, aber auch sehr witzig. Der Freispruch war fast eine Kaufempfehlung! Da waberte ja auch dieses dumme, deutsche Ding mit, Comics seien sowieso für Kinder! Aber die Nase ist bei mir meist größer als der Pimmel, Porno ist was anderes. Naja, und die Evangelikalen mochten nicht, dass ich in der FAZ-Serie ‚Prototyp’ Adam und die Schlange im Apfelbaum zu Knollennasen machte. Das nenne ich sozialethisch bekloppt.
SC: Sie gelten heute als der erfolgreichste Autor explizit schwuler Geschichten, erreichen ein Millionenpublikum. Wie sehen Sie in der Rückschau die Entwicklung schwuler Sujets vom Underground in den kulturellen Mainstream?
RK: Puh, mit der Antwort könnte man ein Buch füllen. Ich hab nichts gegen Mainstream, wenn er nicht allzu doof ist und vermisse schwulen Underground – was immer das heute überhaupt sein könnte in kommerziellen Zeiten! Ich meine, es geht immer um Ehrlichkeit. Ich hätte gern mehr Ehrlichkeit in den Medien, die bei CSD’s die schrille Tunte ins Licht rücken, obwohl die Realität drum rum viel profaner und langweiliger ist. Ich habe große Sympathie für wahrhaftige Tunten! Dass Conchita Wurst vor den Augen des ums Kindeswohl besorgten Osteuropa den Song Contest abräumte, war großartig, und erst gestern sah ich auf der Bühne eine hinreißende Georgette Dee! Kritischer sehe ich die CSD-Saison-Tunten, also diese Typen, die vermutlich übers Jahr in ihrer Umgebung wenig revolutionär auffallen, aber dann im Sommer von Stadt zu Stadt reisen und sich vor Straßenpublikum und Medien als Paradiesvögel präsentieren, ohne weitere politische Botschaft. Das Vorhersehbare, Unvermeidliche langweilt mich an der schwulen Szene. Aber wenn man allmählich älter wird und für das Lebenswerk geehrt wird, ist das wahrscheinlich so, dieses gähnende Immerwieder, schwul hin, hetero her.
SC: Wir hoffen, dass Sie sich nach der Ehrung des Lebenswerks nicht zur Ruhe setzen wollen. Was können Ihre Fans von Ihnen erwarten?
RK: Nein, ich hab immer mindestens drei Buchideen im Kopf. Derzeit zeichne ich einen sehr schweinischen und sinnfreien Science Fiction, dann beschäftige ich mich mit den problematischen Auswirkungen von Pornografie im Internet und dann gibt’s ein Buch über das Älterwerden des Mannes, also Kurzatmigkeit und Verringerung des Hodenvolumens und so. Wer bis dahin keine Midlifekrise schob, schiebt sie garantiert nach der Lektüre!
SC: Vielen Dank!
RK: Danke für die nicht ganz so üblichen Fragen.
Interview: Mirco Drewes
Foto: Ralf König