
19.10.2018 || StageCat: Seit 25 Jahren sind Sie mit „Ab dafür! – der satirische Jahresrückblick“ unterwegs. Erst einmal Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!
Bernd Gieseking: Kiitos! Das heißt „Danke“ auf Finnisch! Ich kann das selber kaum glauben!
SC: Ein viertel Jahrhundert! Macht man sich da manchmal Gedanken? (Anm.d.R.: „25. Da macht sich ein Mädchen Gedanken“, ein Zitat M. Monroes aus Manche mögen‘s heiß.)
BG: (lacht) Ich hab mir jedes Jahr jede Menge Gedanken gemacht. Natürlich auch: Boah – solange mach ich das schon? Und die Welt ist trotzdem noch wie sie ist und bietet jedes Jahr neue Themen.
SC: Was war Ihr schönster Augenblick in dieser Zeit?
BG: Diesen einen schönesten Augenblick gibt es vielleicht gar nicht. Einerseits finde ich an diesen Abenden den Dialog mit dem Publikum toll, der jedesmal anders und neu ist. Andererseits mag ich so ungewöhnliche Text-Formen wie die „Oper ohne Musik“, de ich über die VW-Skandale 2004 und 2007 geschrieben habe. Ein sehr schöner Moment war auch, als das Theater in meiner Heimatstadt Minden, in dem ich als Jugendlicher große Schauspieler auf der Bühne erlebt habe, das erste Mal mit meinem Rückblick ausverkauft war.
SC: Was ist Ihr Erfolgsrezept?
BG: Gibt es das in der Kunst? Im Kabarett? Jedes Thema will neu bearbeitet sein. Grundsätzlich bin ich jemand, der sehr persönlich, privat auf der Bühne ist, es gibt keinen direkten Unterschied zwischen Bühne und Leben, ich spiele keine „Rolle“. Ich glaube, das nennt man „authentisch“. (lacht) Vielleicht ist es das.
SC: Wie gehen Sie mit Kritik an Ihrer Arbeit um?
BG: Da die fast immer positiv ausfiel, war es leicht. Über Negativ-Kritik denke ich nach, aber am ehesten beruht die auf unterschiedlichen politischen Sichtweisen und Auffassungen. Da muss man beide Seiten stehen lassen und der Zuschauer kommt ja hoffentlich auch nicht nur, um seine Meinung zu hören.
SC: Gab es je einen Plan B?
BG: Nein, nie. Beziehungsweise, doch. Ich bin ja gelernter Zimmermann und habe ein Lehramtsstudium gemacht. Mich hat der Weg in die Kunst, zum Kabarett eher selber überrascht, denn eigentlich wollte ich letztlich doch und trotz Studium Zimmerermeister werden. Wenn die Bühne für mich nicht „funktioniert“ hätte, wäre ich zurück in meinen ursprünglichen Beruf gegangen.
SC: Mit Ihrer Erfahrung sind Sie ein alter Hase im Geschäft. Haben Sie einen Tipp für Nachwuchskünstler?
BG: Tipps sind schwierig. Man muss sich ausprobieren. Und das an vielen Abenden. Man sollte weder dem Jubel noch der Negativkritik eines Abends zuviel Gewicht geben. Und trotzdem, auch bei anfänglichen Erfolgen, demütig bleiben gegenüber dem Publikum. Die schenken uns ihre Zeit, wir ihnen dafür unsere Komik und unser Denken.
SC: Manche Kollegen bezeichnen Sie als „Godfather of Jahresrückblick“. Wie fühlen Sie sich dabei?
BG: Ach, das ist eine sehr charmante Würdigung dafür, dass ich als erster mit „Rückblicken“ als jährlichem Programm – da bedeutet ja auch jährliche, umfangreiche Arbeit – begonnen habe. Angeregt hat es übrigens ein Freund, Achim Frenz von der Caricatura, der damals ein Begleitprogramm im Dezember 1994 zu einer großen Karikatur-Ausstellung in Kassel brauchte.
SC: Haben Sie ein Vorbild?
BG: Ja, durchaus. Und dann auch nicht nur einen. Franz Hohler aus der Schweiz, durch seine Vielseitigkeit, auch er schreibt für Kinder, das hat mich auch ermutigt. Hannes Wader von der Haltung, Martin Buchholz in der Form, Matthias Beltz in seiner Leichtigkeit und Hanns Dieter Hüsch und Dieter Hildebrandt sowieso. Aber auch Werner Fink. Friedrich Hollaender. Und Frank Wedekind! Alle drei großartig und vergessen,
SC: Auf welche Erfahrung im Show-Business hätten Sie gerne verzichtet und welche möchten Sie nicht missen?
BG: Da ich oben von Demut sprach bei den Tipps, gehört alles dazu, auch ein Abend vor 5 zahlenden Gästen. (lacht) Die „Regel“ lautet ja: „Sobald unten doppelt so viele sitzen wie auf der Bühne stehen, geht der Vorhang hoch:“ Das ist beim Solisten schnell erreicht.
SC: Was war bisher die größte - berufliche oder private - Herausforderung in Ihrem Leben und welche Herausforderung würden Sie gerne noch meistern?
BG: Alles Gemeisterte relativiert sich ja sofort danach, Dann ist es ja geschafft. (lacht) Mein Halbmarathon auf dem Rennsteig vielleicht. Die Herausforderung, der ich mich gern noch stellen möchte? Ich möchte irgendwann einen Roman schreiben.
SC: Sind Sie abergläubisch? Haben Sie bestimmte Rituale, bevor Sie auf die Bühne gehen?
BG: Ja. Hab ich von Matthias Beltz gelernt und übernommen: Jeden Abend frische Socken auf der Bühne!
SC: Was verstehen Sie unter gutem Humor?
BG: Der, der mir gefällt, mich erreicht und begeistert. Alles Weitere wäre zu detailliert an dieser Stelle, dafür reicht unser Platz nicht aus.
SC: Weswegen sollte man Sie live auf der Bühne sehen und warum Ihre Bücher lesen?
BG: Die bisherigen Zuschauer und Leser sagen, es sei toll, wunderbar, sehr komisch und manchmal auch zu Herzen gehend. Wenn das anderen eine Empfehlung ist, freue ich mich sehr.
SC: CD-Veröffentlichungen, Kinderhörspiele &-Konzerte. Sie schreiben Bücher für Groß und Klein & Theaterstücke. Regelmäßige Kabarett- & Moderationsauftritte. Was davon macht Ihnen am meisten Freude und was können Sie eigentlich gar nicht?
BG: Gar nicht kann ich Verwaltung und Ordnung. Steuererklärung machen, eine Rechnung termingerecht bezahlen oder auch selber eine angemessen zeitnah zu stellen, sowas ist die Hölle für mich! Für alles andere gilt: Alles hat seine Zeit. Gerade die Abwechslung zwischen Schreiben, Sprechen und Darstellen macht mein Leben bunt und reich und alles zu seiner Zeit erfüllt mich sehr.
SC: Kommen Sie auch mal zur Ruhe?
BG: Ja klar! Ich bin immer noch eine Leseratte. Und ich entspanne in der Natur. Ich wandere und rudere, fahre Rad. Ich liebe die Zeit an und auf der Weser. Und ich liebe es, einfach aufs Wasser zu schauen, am liebsten von Inseln aus, gerne Gomera. Seit ich wieder in Minden wohne, sitze ich immer wieder mal auf dem Balkon und schaue mit Kaffee in der Hand – tagsüber – oder Wein – abends – zur Porta Westfalica und schaue den Wolken zu. Zum Motorradfahren komme ich wenig, aber auch das gehört dazu.
SC: Wie sieht ein freier Tag im Leben des Bernd Gieseking aus?
BG: Buch und Kaffee am Bett, spätes und gern opulentes Frühstück auf dem Balkon. Zeitung. Ich schau auch immer wieder gern die Bilder an, die in meiner Wohnung hängen. Wenn es eben geht, verbringe ich diesen Tag mit meiner Freundin. Dann lange in die Natur und den Rest des Tages treiben lassen, mal sehen was kommt.
SC: Bernd Gieseking in drei Worten:
BG: Sympathisch, gewitzt, natürlich.
SC: Das Jahr nähert sich langsam dem Ende. Die Zeit des Jahresrückblicks beginnt. Wie verbringen Sie eigentlich die Feiertage? Irgendwelche Tipps, wie man diese Zeit möglichst stressfrei übersteht?
BG: Ich stehe am 26.12. genau wie am 31.12. auf der Bühne. Ich bin da mitten in der Tournee und wenn ich frei habe, entspanne ich, siehe oben. Mein Tipp? Nicht zu viel planen und genügend Zeit für sich nehmen. Und immer das Komische in den Dingen sehen. Oder suchen. Die meisten Dramen haben auch komische Aspekte. Und Komik hilft, sie auszuhalten
SC: Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?
BG: Unverändert. Körperlich fürchte ich ein paar „Malessen“, dem Alter geschuldet. Aber ansonsten hoffe ich, immer noch kreativ und produktiv zu sein. Ich finde mein Leben ja schön wie es ist. Die Gespräche von anderen mit Blickrichtung Rente irritieren mich eher. (lacht)
Interview: JA
Foto: Britta Frenz