
23.04.2015 || Thomas Knauf ist Cineast und Schriftsteller. In beiden Feldern seiner künstlerischen Passion blickt der gebürtige Hallenser auf eine erfolgreiche und bewegte Vita zurück. In den 1970er Jahren fand der vormalige Filmplakatmaler zu seiner großen Leidenschaft, dem Kino. Nun erscheint im Berliner Divan Verlag der neue Roman Knaufs, der die Liebe zum Film und zur Literatur verbindet. Wer angesichts des Titels Die Nächte der Kanzlerin einen Schlüssellochroman erwartet liegt nicht ganz falsch, doch treibt Knauf ein poetisches Spiel mit doppeltem Boden.
Kino nach Osten
Nach einem Studium der Filmwissenschaften arbeitete Knauf als Drehbuchautor für die DEFA. Mit der Wende begann auch für den preisgekrönten Filmschreiber, der 1990 mit dem Drehbuch zu Die Architekten begeisterte, eine neue Zeitrechnung. Knauf siedelte in die USA über und arbeitete in New York in der Videoszene und als Korrespondent der deutschen Wochenzeitung Der Freitag.
Seit Ende der 1990er Jahre wandte sich Knauf verstärkt der Schriftstellerei zu, die er neben seiner Arbeit für das deutsche Fernsehen entwickelte. Um in seiner neuen Erzählung den Kreis von Literatur und Film vollends zu schließen. Im Mittelpunkt der fiktionalen Geschichte steht der Deutschen Kanzlerin Angela Merkel, der eine unerwartete Begegnung mit der eigenen Vergangenheit neue Perspektiven für Gegenwart und Zukunft eröffnet.
Drehbuch eines Lebens
Durch einen Zufall trifft Kanzlerin Merkel im brandenburgischen Gransee auf ihren ehemaligen Klassenkameraden Jens-Peter Bock. Während Angela eine wahrlich große Laufbahn hingelegt hat, ist aus dem intelligenten Weggefährten ein abgehalfterter Messie geworden. Die DDR hat dem Abtrünnigen nicht gut getan, versuchte Republikflucht, Knast. Und doch stellen Mutti und Messie fest, dass es mehr als Vergangenheit ist, die sie verbindet. Es gibt auch in Merkels Leben einen blinden Fleck, der auf die Scheuklappen des Staatssozialismus zurückgeht.
Während Bock zwar ein Filmstudium verwehrt blieb, so konnte er sich doch seiner Leidenschaft, dem Kino, als Filmvorführer hingeben. Merkel hingegen war in der Jugend wegen der Geringschätzung der Filmkunst durch den Vater, später Zeitmangels wegen, eine enorme Unkenntnis der Filmgeschichte zuteil geworden. Elektrisiert durch die unerwartete Begegnung beginnt Angela Merkel ein Doppelleben: Nachts taucht sie im Kanzleramt in die faszinierende Welt des Kinos ein und schaut alte Filme, bis die Augen zufallen.
Das Sichtbare, das Unsichtbare
Durch die nächtlichen Ausflüge in die Welt großer Gefühle wird auch die Kanzlerin wagemutiger und leidenschaftlicher. Als vorsichtige Taktikerin, die ihr Privatleben schützt und das Reden über Kunst den Künstlern überlassen möchte, hütet sie ihr Geheimnis. Schließlich kommt ihr Adrian Fromma, der heruntergekommene Reporter des Freitag auf die Schliche und plant mit der Entschlossenheit des Verzweifelten Übles.
Thomas Knauf legt mit Die Nächte der Kanzlerin eine kleine Hommage an Angela Merkel und eine große Liebeserklärung an das Kino vor. In seiner wohlgeformten Prosa verrät er alle Kunstfertigkeit des versierten Feuilletonisten, Schriftstellers und Drehbuchautors. Nicht umsonst ist "Die Nächte der Kanzlerin" eine in die Erzählung eingebettete Drehbuchidee, mit der der Film-Desperado Bock die Mutter der Nation bedrängt. Knauf entwirft ein doppelbödiges und verweisungsreiches Spiel über die Macht des Sichtbaren und des Unsichtbaren, des Offenbaren und Verborgenen und feiert so eine Macht, die über die politische weit hinausgeht: Die poetische Schöpfungskraft des Film.
Zum Buch ist beim Divan Verlag auch das Hörbuch erhältlich.
Text: Mirco Drewes
Foto: Divan Verlag